Trampen – Weg und Ziel

Seit etwa einem Jahr trampe ich dann und wann von Dresden nach Berlin und zurück. Abenteuerlust, Geiz aber vor allem diese Absurdität, dass so viele Autos auf den Straßen rumfahren, in denen nur ein Mensch sitzt, sind meine Motivation.

Da fahre ich dann also mit meinem Pappschild, auf dem „Berlin“ mit der Linie 70 bis zu einer Kreuzung kurz vor der Autobahnauffahrt, setze an mein breitestes Lächeln auf, halte den Daumen raus und warte. Meistens nicht länger als 10 Minuten, dann hält jemand an und will mich mitnehmen.

Ich werfe einen Blick in das Auto und frage mich: wie ist mein Bauchgefühl? Jedenfalls versuche ichs, aber dazu später mehr.
Meistens ist es gut.
„Hallo, ich bin Henrike. Fährst du nach Berlin rein?“ „Ja, genau“ „Cool, dann würd ich gern mitfahren. Wärs okay, wenn ich einer Freundin das Autokennzeichen schicke“ „Ja, klar, kein Problem“. Dann tipp ich das Kennzeichen in mein Handy und steige ein.

Bei den ganzen lieben Leuten, die mich mitnehmen, habe ich bis jetzt drei Motivationen bzw. „Typen“ feststellen können. Völlig verallgemeinernd und ungenau, natürlich.

1. Ältere Herren, die beruflich unterwegs sind
schnelle große Autos, viel Technik installiert. Nehmen nicht oft Tramper/innen mit, aber ich sah ungefährlich aus. Dann reden wir viel über das, was ich so mache, und ein bisschen über das, was er so macht und ich kriege (teilweise vermeintlich) wertvolle Lebensratschläge. In kürzester Zeit bin ich am Ziel, denn wir Brettern mit 190 über die A13.

2. Familien
Weil ich so nett aussah halten sie an. Und manchmal auch, weil sie hoffen, dass ihre Kinder selbst nie, NIE trampen werden und wenn schon, dann bitte, bitte, dann nicht von gefährlichen Menschen mitgenommen werden. Je nach Alter der anwesenden Kinder /Jugendlichen läuft eine Märchenkasette oder K-Pop. Es ist voll entspannt, ich sitze ruhig auf dem Rücksitz und hab Zeit zum Schlafen oder Lesen oder Märchenkasette hören.

3. Tramper
Sie sind selbst schon viel in der Welt rumgetrampt, und haben da viele schöne Erfahrungen gemacht oder finden das aus anderen Gründen gut, zum Beispiel ökologischen. Ihre Fahrten haben sie auch bei einer Online-Mitfahrzentrale angeboten, aber niemand wollte, oder vielleicht steigt noch jemand in Berlin dazu. Die Autos sind kleiner und/oder älter als von Typ 1 und 2, vielleicht auch geliehen. Wo unser Gespräch uns hinführt, weiß ich vorher nie. Aber dort wo ich hin will, komme ich gut unter- und wohl behalten an.

das Wohlbehalten ankommen ist beim Trampen ein Thema, das eigentlich alle beteiligten beschäftigt. Immerhin kommt man auf sehr engem Raum zusammen, ein Raum, der für den einen ein eigener privater Raum ist in dem man jemand anderen einläd, und gleichzeitig eine abschließbare bewegliche Kapsel, in die sich der andere begibt.

Ich hatte bis jetzt beim Trampen – also insgesamt vielleicht 15 Fahrten – eine Situation, in der ich mich echt unwohl gefühlt habe: Mein Begleiter fing auf einmal an, davon zu erzählen, wie ihn mal eine Tramperin ins Lenkrad gegriffen und ihn mit Pfefferspray bedroht habe. WTF?!

Und hier greift meiner Meinung nach genau das, was ich oben schon meinte: Mein Bauchgefühl war eigentlich auch am Anfang nicht gut, eingestiegen bin ich aber trotzdem. Seit dem bin ich konsequenter darin, das Kennzeichen des Autos, in das ich einsteige einer vertrauten Person zu schicken, und dem/der Fahrer/in das auch zu sagen. Aber bisschen Risiko ist natürlich immer da. Leben halt.

Die, die sich entscheiden mich mit zu nehmen, machen natürlich auch eine Risikoabwägung für sich.  Ich bin eine junge weiße Frau, die allein unterwegs ist. Ich denke auch, dass man mir meine Soziale Blase ansehen kann, daran, wie ich mich kleide und wie ich mich verhalte, wie ich rede: junge Akademikerin. “Die Leute” haben vor mir wenig Angst. Das ist schön für mich, denn ich werde schnell mitgenommen. Einen Mann in meinem Alter, oder mehrere: die meisten (Typ 1 und 2), die mich mitnehmen haben mir auch ganz klar gesagt, dass sie da nie auf die Idee kämen, an zu halten. Ich werde als ungefährlicher und gefährdeter wahrgenommen. Ich sehs als Privileg, und wünsche mir, dass die Assoziation von Männlichkeit (und auch nicht-weiß-sein) weiter abgebaut wird. Ich gönns meinen männlichen Freunden, nicht 3 Stunden auf einer Autobahnraststätte jeden anzusprechen, und nicht mitgenommen zu werden.  Vielleicht sind der Großteil der Gewalttäter Männer, und mit ziemlicher Sicherheit ist der Großteil der Männer nicht gewalttätig. Wie wir ingesamt mehr Vertrauen ineinander haben können, ist eine Frage, die mich beschäftigt – und ob das überhaupt eine sinnvolle Utopie ist.

Was meint ihr?

(hc)