Vor fast genau zwei Jahren, Ende November 2019, hat #HSZfürsKlima eine Besetzung des größten Hörsaals (Audimax) der TU Dresden (TUD) initiiert – und wir als tuuwi waren mittendrin. Anfangs nur indirekt als Mitorganisatorin der zeitgleich stattfindenden #PuplicClimateSchool in der #week4climate von den Students for future Dresden (SFF Dresden), sowie der #LecturesForFuture, später als direkte Akteurin. Im Statement “Exzellenter Widerstand?!” [1] versuchten wir damals, Klarheit und Solidarität für die Aktion zu schaffen (was uns leider nur zum Teil gelang). Denn auch uns hat die Aktion (und vor allem der fragwürdige Umgang des ehemaligen Rektorats damit) zu einigen Diskussionen und Reflexionen angeregt. So veröffentlichten wir bspw. eine eigene Positionierung zum zivilen Ungehorsam an der TUD und darüber hinaus [2].
Weiterhin fiel unser “Kohle-Kubus” den diversen Protesten wortwörtlich zum Opfer. Der 16m³ große Würfel stand für die Masse an CO2-Äquivalenten, die die TU täglich alle zwei Minuten (!) ausstößt. Durch die Zerstörung wurde er zum Symbol der Polarisierung der Studierendenschaft und der Besetzung generell. Hierzu wurden die zerstörten Überreste spontan von der Gruppe @irrlichtt neu in Szene gesetzt. Ihr damaliges Statement traf die Situation genau:
“Der CO2-Kubus ist für uns zum Symbol der starken, mitunter physisch ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Klima-Debatte geworden. Mit der Beleuchtung der Cubefragmente wollen wir die Klima-Debatte, aber auch das Debatten-Klima, weiter ins Licht rücken und zu friedlichem Diskurs aufrufen”.
Knapp ein Jahr später wurde hierzu auch eine Chronik des kurzweiligen, aber durchaus aufregenden Lebens des Kubus verfasst [3].
Von der Aktion zum Forderungskatalog…
In zwei überaus hitzigen StuRa-Sondersitzungen [4] wurde versucht, diese Aktion einerseits aufzuarbeiten, anderseits Konsequenzen daraus mitzunehmen. Denn was bei all den überzogenen Negativ-Schlagzeilen unterging, war die Etablierung von Forderungen an die Uni (anfangs über 300 Stück!) aus der Studierendenschaft heraus, welche im Zuge der Aktion gesammelt wurden. Dazu wurde aus Mitgliedern des StuRa (Studierendenrat der TUD) eine Projektgruppe “Klimaaktionswoche” unter Leitung der tuuwi ins Leben gerufen, die die Forderungen auf- und bearbeiten sollte – mit dem Ziel, einen klimapolitischen Forderungskatalog zu erstellen, welcher anschließend über den StuRa als Vertretung der Studierendenschaft legitimiert werden sollte. Aufgrund der anfänglich hohen Interessiertenzahl, sowie des äußerst divers vertretenen Meinungsspektrums, kam ein strukturierter Prozess mit viel Kleingruppenarbeit zustande. Überraschend war damals die recht gute Zusammenarbeit zwischen tuuwi, studentischen Senator:innen ehemaligen Besetzer:innen, aber auch RCDS (Ring christlich demokratischer Studenten) und dem FSR Maschinenwesen. Insgesamt fanden sechs Großgruppentreffen in Form von World Cafés und weitere diverse Kleingruppentreffen statt. Das Ergebnis war ein siebenseitiger Forderungskatalog mit Präambel, insgesamt 20, in vier Cluster sortierte und ausformulierte Forderungen, sowie ein Glossar.
Nach ca. sechs Monaten wurde im Juni 2020 der erste Vorschlag mit wenigen Änderungen (wenn auch teils elementaren, wie der Streichung des Wortes Postwachstumsgesellschaft, der Forderung nach einer Zivilklausel und der Gründung eines Instituts für Intersektionalitätsforschung) angenommen [5].
Vom Forderungskatalog zu überraschenden uni- und landesweiten Reaktionen…
Ab da wurde es wild: Eine lose Gruppe aus ehemaligen Besetzer:innen, tuuwis, SFF Dresden-Mitgliedern und Weiteren begleiteten den Prozess der Erarbeitung des Katalogs und bereiteten fast parallel eine umfassende Social-Media-Aktion zu dessen Verbreitung vor – Corona verlegte schon damals die Aktion gezwungenermaßen ins Digitale. Damals noch unter dem Namen ÜberfluTUng und #ueberflutung2020 wurden kurz nach der Legitimation über 70 SharePics und entprechender Internetseite auf Social-Media-Plattformen geflutet. Die Aktion war ein voller Erfolg.
Mit Unterstützung der studentischen Senator:innen konnte die Aufmerksamkeit der TU Dresden gewonnen werden. Gemeinsam mit Zuspruch der neuen Rektorin Dezernat 7 wurde von engagierten Studierenden und Kommunikationsdezernat (Dezernat 7) ein präsentes Riesen-Banner mit ÜberfluTUngs-Logo gestaltet und damit “Change” direkt vor dem HSZ – dem Ort der Besetzung – platziert . Damit folgte auch die Umbenenung der Gruppe von ÜberfluTUng zu Change TU Dresden (Instagram: @change_tud). Anschließend wurde der klimapolitische Forderungskatalog im Oktober 2020 im Senat der Uni, dem höchsten Gremium und damals gerade frisch gewähltem Rektorat (und frischem Wind), vorgestellt.
Das neue Rektorat um Rektorin Staudinger war schon von Beginn an offener für studentische Positionen hinsichtlich der Besetzung und klimpolitischem Engagement. So ließ sie nach intensivem Einsatz der studentischen Senator:innen die Strafanträge gegen drei Besetzer:innen wegen Hausfriedensbruchs fallen. Das damalige Statement (Rundmail der Rektorin vom 07.09.2020) der TUD mit dem Aufruf zu einem gemeinsamen (Neu-)Start hörte sich wie Musik in unseren Ohren an:
“Diese Entscheidung ist keine Wertung der Vergangenheit – sie ist ein Signal für die Zukunft und die Einladung zu einer offenen und respektvollen Diskussion”.
Change TUD erzeugte währenddessen mit zwei weiteren
sog. Überflutungsaktionen Aufmerksamkeit aufdem Campus: Mit einer Plakataktion im Sommer 2020 wurde der ursprüngliche Plan der ersten Aktion in die Tat umgesetzt; im Sommer 2021 wurde der Podcast “Die Fragewelle” im Dresden-Radio Coloradio, aber auch auf Funkwhale und Spotify veröffentlicht. Ein Podcast, bei dem Akteur:innen wie die Prorektor:innen für Bildung und Universitätskultur, die studentischen Senator*innen sowie Mitglieder aus der Verwaltung wie die Umweltkoordinator:innen zu klimapolitischen Fragen und deren Umsetzung am Campus interviewt wurden. Der Podcast war die nächste große Aktion, um den Forderungskatalog und Nachhaltigkeit an der Universität in die Studierendenschaft zu tragen [].
Doch nicht nur innerhalb der TU Dresden sorgte der studentisch verabschiedete Katalog und dessen diversen öffentlichkeitswirksamen Aktionen für Veränderung. Ende 2020 wurde dieser von der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) mit kleineren Anpassungen (u.a. eine Erweiterung mit expliziter Kapitalismuskritik!) für alle sächsischen Unis und Hochschulen übernommen und ist dadurch von der gesamten Studierendenschaft auf Landesebene legitimiert []. Wahnsinn!
Ein Resümee, eine Aufforderung und ein Dankeschön.
Insgesamt und retrospektiv betrachtet ist es schon krass, dass das Chaos zu Beginn das Initial für den Klimapolitischen Forderungskatalog bildete, der dann über den StuRa der TUD seinen Weg bis in die KSS fand. Auch, dass daraus trotz Corona die ÜberfluTUngs-Kampagnen mit dem Podcast “die Fragewelle” entstanden und teilweise deutschlandweit geteilt wurden! Dazu kommt, dass einige Forderungen an der TUD während der letzten beiden Jahre angenommen wurden, gerade bearbeitet werden bzw. sogar schon umgesetzt wurden:
- Mit der Schaffung des deutschlandweit einzigen Prorektorats für Universitätskultur richtet die TUD u.a. einen größeren Fokus auf ihre Rolle als gesellschaftspolitische Akteurin und die Auseinandersetzung mit (aktuellen) zivil- und gesamtgesellschaftlichen Themen [1] (Forderung 2)
- Die TUD weist seit dem Wechsel des Rektorats deutlicher und öffentlichkeitswirksamer auf die Klimakrise und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse hin. U.a. zeigt dies das Banner vor dem HSZ oder die präsente Platzierung eines neuen Reiters auf der Startseite der TUD-Website mit “Umwelt und Klima” [1] (klingt wenig und banal, ist aber im Vergleich zum vorherigen Rektorat ein unglaublich arbeitsintensiver und wichtiger Schritt gewesen – trust me) (Forderung 3)
- Mit der Einführung der campusweiten “geTUgether”-Zonen sollen mehr kreative und gestaltungsfreie Flächen für Hochschulangehörige nutzbar werden (Forderung 6)
- Der Ökostromanteil wird ab 2023 auf 100% steigen! (Forderung 8)
- Auch das Studierendenwerk Dresden steht im regen Austausch mit unserer AG Mensa und zeigt Veränderungswille. So soll u.a. bald jeden Tag in jeder Mensa min. ein veganes Gericht angeboten werden (Forderung 10)
- Im noch nicht veröffentlichten Lehrleitbild der TUD wird Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und Nachhaltigkeit als Querschnittsthema verankert (Forderung 11)
- Durch das oben beschriebene Prorektorat Universitätskultur, die aktuelle Umgestaltung der Kommission Umwelt der TUD, sowie das seit Mitte 2021 neu eingerichtete Green Office (welches auch durch studentische Initiative angestoßen wurde), werden nach und nach angemessene Strukturen zur Förderung von Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit an der TUD geschaffen (Forderung 16)
Aber zeitgleich sei auch angemerkt, liebe TU Dresden, da geht noch mehr! Auch wenn bereits erste Erfolge sichtbar werden, bleibt der Großteil nur teil- bzw. gar nicht beantwortet. Wann wird bei Dienstreisen endlich eine CO2-Kompensation eingeführt und der Zug gegenüber dem Flugzeug bevorzugt? Wann kommt eine Transparenzklausel hinsichtlich sog. sicherheitsrelevanter Forschung? Wann wird es mehr studentisch selbstverwaltete Räume und weniger Individualverkehr auf dem Campus geben? Und was wird aus der Vision “TUD klimaneutral 2030”? Auch wenn ein Teil der Entscheidungsmacht nicht unbedingt bei der Uni liegt, wünschen wir uns hier mehr (öffentliche) Positionierung und Aktivität.
An der Stelle auch einmal einen Riesendank an alle Studis, die vor allem ihre zeitlichen Ressourcen für ein knapp zweijähriges (noch nicht abgeschlossenes) Mega-Projekt aufgewendet haben, um die TUD wenigstens ein bisschen besser zu machen. Und nicht zuletzt Danke an #HSZfürsKlima für den notwendigen Anstoß!
Also liebe Studis und Menschen da draußen – traut euch, sprecht Dinge an, die euch nicht gefallen, werdet kreativ, lasst euch nicht entmutigen und vor allem: bleibt dran! Große Institutionen ändern sich (leider) nicht von heute auf morgen. Der kontroverse Fall der HSZ-Besetzung Ende 2019 hat aber gezeigt, dass nachhaltige Reaktionen und Veränderungen auch in trägen Tankern und darüber hinaus möglich sind! Gerade in solchen Institutionen sind manchmal solch radikale Aktionen nötig, um überhaupt erst einen Impuls für Veränderung zu setzen. Punkt.