24. Mai 2019. Ein Global Strike der Schülerbewegung Fridays For Future findet statt. Der türkischstämmige deutsche Rapper Chefket wirft der Berliner Sektion Rassimus vor, nennt sie „White Days for Future“. Sie hatten ihn für die Demo in Berlin als musikalische Unterstützung zunächst ein- doch dann wieder ausgeladen, mit Verweis auf vergangene Kollaborationen mit dem sexistischen und gewaltverherrlichenden Rapper Xatar. Chefket sieht das anders. Er löst in den sozialen Medien eine Debatte aus, wie weiß Fridays For Future tatsächlich sei. Fridays For Future verschwindet so oder so das ganze Jahr nicht aus den Medien, die Bewegungsgründerin Greta Thunberg wird vom Time Magazine zur Person Of The Year gewählt.
25. Mai 2020. Ein Jahr und ein Tag danach: Die Coronakrise bewegt die ganze Welt. Der normale Alltag wurde gerade im März und April in vielen Ländern völlig eingefroren. Demonstrationen wurden aufgrund ihres Potenzials, das Virus unter großen Menschenmengen zu verbreiten, untersagt. Mittlerweile hat man das Virus weitestgehend unter Kontrolle. Um die Bewegung Fridays For Future ist es in den letzten Monaten ruhig geworden, der Fokus lag nachvollziehbarerweise auf anderen Dingen. An diesem Tag in Mai stirbt ein 46-jähriger Afroamerikaner namens George Perry Floyd auf einer Straße in Downtown Minnesota. Er wurde Opfer einer völlig unverhältnismäßigen, gewaltsamen Festnahme durch vier weiße Polizisten. In den folgenden Tagen und Wochen werden große Menschenmengen in den Städten wieder laut. Nicht für den Planeten, sondern für das alte Problem Rassismus gehen die Leute wieder auf die Straße.
Diskriminierung – eine (leider) alte Geschichte
Die Ermordung George Floyds vor gut einem Monat ist ein weiterer von etlichen ähnlichen Schandtaten, die in den letzten Jahren die Vereinigten Staaten erschüttert haben. Und trotz der perfiden, menschenverachtenden Vorgänge, spielt sich danach immer vieles ähnlich ernüchternd ab: Aufruhr, Demonstrationen, Politiker*innen halten Pressekonferenzen. Alte weiße Männer mit viel Macht bedauern den tragischen Tod und bekundigen ihr Beileid, oftmals die gesamtgesellschaftliche Ungerechtigkeit und dessen Relevanz völlig ignorierend. Progressive Politiker*innen, insbesondere jene, die selbst diskriminierten Minderheiten angehören, seien sie schwarz, Latinos oder Frauen, sitzen zwar mittlerweile in den Abgeordnetenhäusern – oder gelegentlich sogar im Weißen Haus – aber sind noch immer viel zu wenige und schwächer als konservative Parteien, Lobbyverbände und vor allem – eine priviligierte Oberschicht, die in Teilen bösartig und rassistisch ist, in anderen großen Teilen weniger menschenfeindlich, aber dennoch gleichgültig, bequem und unwissend um die eigene Komfortzone. Erstens werden änderungswillige Politiker*innen keine Gesetzesentwürfe einbringen und durchsetzen können, die der Bekämpfung von Diskriminierung eine rechtliche Grundlage gibt. Zweitens und viel relevanter: Der Grund für Ersteres liegt in festgefahrenen Strukturen, zu deren Änderung es nicht eines Gesetzes sondern gesellschaftlicher Transformationen bedarf.
Der Fall Floyd in diesen Zeiten
Was ist beim Fall Floyd anders als sonst? Die Aufruhr ist besonders groß. In der gesamten westlichen Welt, in vielen Ländern wie Deutschland, in denen Waffengewalt eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt, solidarisieren sich Menschen mit den US-Amerikanern. Die Corona-Krise und ihre Folgen, haben sicherlich dazu beigetragen. Viele von uns haben sich Monate mehr oder weniger ins Privatleben zurückgezogen und haben öffentliche politische Debatten gemieden, obwohl viele Geschehnisse es wert gewesen wären, beispielsweise die ungeklärte Situation in Hongkong. An dieser Stelle trotzdem ein großes Dankeschön an alle, die im März und April, in Form von Demotranspis vom Balkon hängend über Vereinsplena in virtueller Form bis hin zu Social-Media-Aktionen weiterhin am Ball geblieben sind. Diese Formen politischen Engagements sind nicht zu vernachlässigen und dennoch – die Durchschlagkraft und Wirkung einer Straßendemonstration samt medialer Aufmerksamtkeit können diese Formen nicht erreichen. Die vielen BLM-Demos waren ein Aufschrei, eine Befreiung politisch aktiver Menschen. Das hat eine neue Welle ins Rollen gebracht.
Warum schreibt die Tuuwi über George Floyd?
Ein weiteres Mal wurde einem unschuldigen Menschen das Leben genommen, ein weiteres Mal sitze ich bequem mit meinem Kaffee gerade hier vor meiner Tastatur und weiß, dass dies nicht das letzte Mal gewesen wird.
Und dass ich hier mit meinem Kaffee sitze bereitet mir ein schlechtes Gewissen. Dadurch dass ich hier als als weißer, männlicher, in Deutschland geborener angehender Akademiker nie Diskriminierungen ausgesetzt war, kann ich die Erniedrigung nicht wirklich begreifen. Warum soll ausgerechnet ICH einen Text über Rassismus schreiben? Kurz nach dem Tod George Floyds saßen eine Freundin und ich auf einer Wiese und wir sprachen darüber, dass viele Facebook-Freunde ihr Profilbild auf Schwarz ändern. Ein Zeichen der Solidarisierung, welches nicht neu ist, schon zuvor bei schrecklichen Attentaten oder politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, von der sozialen Plattform angeboten wird. Solidarisierung und Kondulenz sind wichtig und dennoch: Um eine Transformation einzuleiten, Ursachen- statt Symptonbekämpfung zu betreiben, um das erneute Geschehen von ungerechter Gewalt zu vermeiden muss jeder anfangen, in seinem eigenen soziokulturellen Umfeld sensibler zu werden und sich zu fragen: Was läuft falsch? Was machen wir falsch? Was können wir tun? Darum halten wir es als Umweltgruppe für sehr wichtig, einen näheren Blick auf das Thema Rassismus zu werfen. Spätestens seitdem Fridays for Future öffentlich Rassismus vorgeworfen wird, stellt sich die Frage, inwiefern Missverständisse zwischen verschiedenen Interessengruppen herrschen, oder die Klima- und Umweltbewegung tatsächlich ein Rassismusproblem hat.
Grüne Nachlässigkeit
Dabei soll hier auf die anfangs erwähnte Kontroverse um Chefket und FFF gar nicht näher eingegangen werden, denn in dieser Situation blieb vieles unklar und man kann nur mutmaßen. Viel interessanter ist jedoch ein Blick auf Aktivist*innen, die selbst BIPOCs sind – das ist die häufig verwendete Bezeichnung für Schwarze, Indigene und People of Color. Die Wissenschaftlerin und Postwachstumsaktivistin Tonny Nawshin wurde beispielsweise als einzige aller anwesenden Aktivist*innen bei der Datteln-4-Demo am 20. März im Nachhinein auf keine der von Greenpeace auf Twitter geposteten Fotos von der Aktion abgebildet, einige Fotos mit ihrem Gesicht wurden zugeschnitten – gleichzeitig war sie die einzige nichtweiße Teilnehmerin der Veranstaltung. Die Social-Media-Verantwortlichen haben dies vermutlich nicht einmal mutwillig getan. Es ist ihnen womöglich gar nicht aufgefallen. Doch in der Nachlässigkeit liegt die Wurzel des Problems. Priviligierte Menschen sind sich ihrer Privilegien oft nicht bewusst. Und das trifft auch auf diejenigen von uns zu, die sich selbst als sehr progressiv und reflektiert bezeichnen würden. Das Ergebnis sind oft nur kleine dezente Vorkommnisse, wie Tonny Nawshins Erfahrung, die jedoch immer und immer wieder vor Unsensibilität strotzen und dazu führen dass sich BIPOCs verletzt und diskriminiert fühlen. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste likte Fridays for Future einen Kommentar, der die Darmstädter Ortsgruppe dafür kritisierte, sich gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus ausgesprochen zu haben. Was ist da los?
Die Klimabewegung, die mehrheitlich weiß ist, lebt oftmals in einer Blase in der sie – völlig berechtigt – eine alles umfassende, von den Artgenossen verursachte, ungemütliche Zukunft zu verhindern versucht. Außerhalb der Blase befindet sich eine Menge gesellschaftlicher Konfliktherde, von der die Mehrheit der Klimabewegungsanhänger nicht betroffen ist. Dennoch müssen diese dringend mit in Klimaprotest einbezogen werden. Sicherlich – Klimagerechtigkeit ist ein Thema der Umweltbewegung, welches gerade sein Augenmerk auf die Benachteiligten, auf die Schwachen und Diskriminierten legt, sei es die Betroffenheit von Menschen, die im globalen Süden leben oder auch Frauen. Dennoch bewegt man sich als Klima- und Umweltschützer*in schnell auf einer abstrakten Ebene und hat nur das große Damoklesschwert Klimawandel vor Augen, vergisst die Probleme vor der eigenen Haustür. Der junge, in Deutschland lebende Mensch, der einer Minderheit angehört, fragt sich ob es nicht dringendere Probleme gibt, wenn er sieht, dass wir uns um Bio-Essen in der Mensa bemühen, während sein Kumpel am Hauptbahnhof in Köln als einziger Schwarzer angesprochen wird, wo 20 Weiße ohne Mundschutz nicht angesprochen werden. Als Tuuwi stellen wir oft fest, dass wir uns in unserer Umweltblase befinden. Dies gewinnt an völlig neuer Bedeutung, wenn man betrachtet, dass viele junge Menschen sich nicht mit der Umweltbewegung identifizieren können, weil sie in Gewalt, Krieg, Mord, der Verletzung von Menschrechten viel dringendere Probleme sehen und sich fragen inwiefern Umweltschützer*innen weltfremd sind. Die Wahrheit ist, dass uns diese Probleme alle bewusst sind, wir aber noch sensibler, offener und aufmerksamer werden müssen.
Die Ermordung George Floyds hat uns wieder einmal wachgerüttelt und gezeigt, dass der Kampf gegen Rassismus ebenso relevant ist wie gegen biologische Viren oder atmosphärische Veränderungen. Doch nicht erst seit diesem Vorfall im Mai ist klar, dass die progressiven Umwelt- und Klimaschützer*innen gerade in diesem Bereich schon das ein oder andere Fettnäpfchen mitgenommen haben. Im Kontext der Klimagerechtigkeit ist es an der Zeit, dass wir weiter unser antirassistisches Profil stärken.