Autor:innen: Anja Tappert, Peter Feistel
Jede:r Studierende, der:die schon einmal mit Öffis zwischen SLUB oder Drepunct und dem Campuszentrum verkehrt ist, kennt es: “Ah da kommt grad die 61. Lass mal schnell die zwei Stationen Bus fahren.” Und eh mensch sich versieht, steht er:sie eingequetscht zwischen zwanzig Anderen auf dem täglichen Weg zwischen Bildung, Nahrungsaufnahme und Zuhause. Gerade diejenigen, die in Löbtau wohnen, sind bei schlechter Witterung auf ebenjene Nahverkehrsmittel angewiesen, die auf der Ost-West-Achse zwischen Tharandter Straße und Wundtstraße pendeln. Ja, die Busse der Linien 61 und 62 zwischen Plauen und der Johannstadt sind seit Jahren überlastet. Die naheliegende, gemeinwohlorientierte Lösung ist ein Ausbau der Stadtbahn.
Ein solcher Ausbau zieht natürlich weitreichende Veränderungen und Umstrukturierungen einer Verkehrsachse nach sich. Mit etwas Weitsicht könnte ein neues Nutzungskonzept in Zeiten der Diskussion über Verkehrswende, Umweltzonen und autofreier Stadt eine große Herausforderung und eine große Chance zugleich sein. Oder mensch hat es eben mit den ewig Gestrigen aus allen Reihen zu tun – seien es konservative politische Handlungsträger:innen oder Boomer-Verkehrsplanungsbüros. Wenn die dann, wie so oft, die Zügel in der Hand haben, wird das Verkehrsprojekt vor allem: der nächste Asphaltfriedhof. Oder präziser: Der nächste Baumfriedhof.
Eine Bestandsaufnahme
Aber immer der Reihe nach, erst einmal eine Bestandsaufnahme. Im Stadtbezirk Cotta – dazu gehören u.a. Löbtau, Cotta und Gorbitz – wohnen etwa 74.000 Menschen [1], also circa 13 Prozent der Dresdner Bevölkerung. Darunter nicht gerade wenige Angehörige der TU Dresden, insbesondere Studierende. Diese möchten gerne auf dem schnellstmöglichen Weg Richtung von ihren westlich des Hauptcampus gelegenen Wohnorten zum Hörsaalzentrum gelangen. Blöderweise ist die städtische Straßenbahn wie in so vielen Städten so gebaut, dass sie vom Stadtzentrum her in alle Richtungen ausstrahlt und Querverbindungen insbesondere durch Busverbindungen realisiert wird. Diese besagten Busse verkehren auf einer vierspurigen Straße zwischen Nossener Brücke, Budapester Straße, Nürnberger Ei, entlang des Zelleschen Weges vorbei am Fritz-Förster-Platz, der SLUB und den Wohnheimen an der Wundtstraße. Aber warum eigentlich eine vierspurige Straße?
Jede:r, der schon einmal auf dem Weg zwischen Drepunct, Seminargebäude und SLUB den Zelleschen Weg überquert hat, kennt die endlosen Weiten der zweispurigen Fahrbahn einer Richtung, gerade so als stehe mensch auf einem National Highway in Australien. Gerüchten zufolge nähern sich gelegentlich 10 Kraftfahrzeuge einer Grünphase der Überquerung. Rote Fußgängerampeln und weit und breit kein Fahrzeug zu sehen, eine Lichtsignalanlage mit Verkehrsdetektoren könnte Abhilfe schaffen. Oder wir stellen die Frage: Ist eine vierspurige Straße überhaupt notwendig?
Tatsächlich ist es so, dass das Aufkommen an Kraftfahrzeugen auf dem Zelleschen Weg zwischen 2003 und 2018 um fast die Hälfte gesunken ist, von 34 000 auf 18 000 [2].
Die logische Konsequenz all dieser Tatsachen ist also: Stadtbahn, zweispurige (dafür breite) Fahrbahn für Kraftfahrzeuge, Erhaltung und Erweiterung von sicheren Wegen für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen.
Das war beim Zelleschen Weg 2016 eigentlich beschlossene Sache, wurde jedoch durch einen von CDU und FDP vorgelegten sowie AfD und Freien Wählern unterstützten Änderungsantrag, der die Beibehaltung von 4 Fahrstreifen fordert, fast noch einmal gekippt. Dies wurde Ende Januar 2020 letztlich (glücklicherweise) vom Stadtrat abgelehnt.
Die Planungen für die Nürnberger Straße
Der gleichen Problematik widmet sich nun das öffentliche Interesse beim Abschnitt zwischen Nossener Brücke und Nürnberger Straße [3]. Mehr als 8100 Quadratmeter sollen neu versiegelt werden, Bordkanten in der Nürnberger Straße rücken so doppelt so weit auseinander, private Vorgärten werden zur Verlegung der Gehwege an den äußersten Rand partizipativerweise enteignet, die Schallimmissionsgrenzwerte werden daraufhin an 55 Gebäuden nachts und an 18 Gebäuden tagsüber auf der Nürnberger Straße gesundheitsbewusst überschritten, da die KFZ-Fahrbahn bis zu 10 Meter dichter an die Häuser heranrückt, es wird außerdem keine Gehwegvorstreckungen an Einmündungen geben, d.h. die Schleppkurve des Müllfahrzeugs hat Vorrang, eine direkte Querung der Nürnberger Straße in Nord-Süd-Richtung entlang der Kaitzer Straße wird nicht mehr möglich sein, ein Rasengleis dient als Barriere.
Des Weiteren folgt die Umwandlung aller Hochbordradwege am Nürnberger Ei in Radfahrstreifen mit der bewussten Gefahr des illegalen Kurzzeitparkens, die Tram soll jedoch weiterhin im Mischfahrstreifen zusammen mit KFZ von der Einmündung der Bernhardtstraße bis zum Nürnberger Platz dümpeln.
Da das Ingenieurbüro Wert auf Gleichbehandlung legt, wurden keinerlei aktuelle Zähldaten für Fußgänger- und Radverkehr im Planfeststellungsverfahren ermittelt und verwendet, ein Beispiel am Knoten Budapester Straße: ein Rechtsabbiegen für Fahrräder außerhalb der Lichtsignalregelung würde im Seitenraum nicht mehr wie bislang möglich sein und das Linksabbiegen für den Radverkehr würde immer nur indirekt mit zwei separaten Ampelphasen möglich sein, was einer schnellen Erreichung des Zieles weiter im Weg steht. Weiterhin würde aus der Nürnberger Straße in die Budapester Straße der KFZ-Rechtsabbiegefahrstreifen sogar ersatzlos entfallen.
Für die Bäume läuft die Zeit ab, Fahrradfahrer:innen gewinnen neue
Doch was hat es nun mit dem besagten Baumfriedhof auf sich? Nun, wenn der Mensch progressiv voranschreitet mit Projekten, die allen nützen und mehr Lebensqualität bringen, müssen dafür Maßnahmen ergriffen werden, wie hier die Fällung nahezu aller Bäume im zentralen Abschnitt zwischen Nürnberger Ei und Budapester Straße, denn nur so kann der Gehweg um bis zu neun Meter nach außen gerückt werden. Insbesondere die intakte Kastanienallee in den Vorgärten der nördlichen Bebauung müsste so für die gute Sache weichen.
Dass außer Bäumen aber auch Menschen in Gefahr sein könnten, folgt mit der Erhöhung der Ausrundungsradien der Bordkanten an allen LSA-Knoten, denn damit ist für die systemrelevanten KFZ ein noch zügigeres Rechtsabbiegen möglich und somit die Gefahr toter Winkel. Die Umlaufzeit am großen LSA-Knoten Budapester/Nürnberger Straße soll so von derzeit 90 auf dann 120 Sekunden zur besseren KFZ-Durchlassfähigkeit erhöht werden.
In vielen Fahrtbeziehungen wird man folglich mehr als eine Minute an diesem Knoten als Radfahrer:in in den Abgasen bei Rot stehen. So bleibt also mehr Zeit für Verschnaufpausen zwischendurch.
Noch mehr Verschnaufpausen für den Radverkehr ergeben sich aus den zukünftig fehlenden Buchten an allen Bushaltestellen, die dafür direkt auf den Radfahrstreifen aus Platzgründen angeordnet sein müssen. Wenn dann ein Bus anhält, muss der gesamte Radverkehr fortan dahinter warten (betrifft Linien 61 und 62), während der KFZ-Verkehr ungehindert auf zwei Fahrstreifen neben dem haltenden Bus vorbeifahren kann.
Wir fordern zeitgemäße, bedarfsgerechte Verkehrplanungskonzepte
Die Tuuwi fordert daher für die Nürnberger Straße eine integrierte Verkehrslösung ohne massive Flächenausweitung mit intelligenter Lichtsignal-Zuflussregelung, sowie sicheren Radverkehrsanlagen in ausreichender Breite zum Überholen. Die unwidersprochene Realisierung der Entwürfe des Büros EIBS würde viele ökologische Anstrengungen in Dresden weit zurückwerfen und diesem Wohnstandort in der Südvorstadt durch Beseitigung fast aller bestehenden Ahorn- und Kastanienbäume nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Schaden zufügen.
Was dabei noch viel saurer aufstößt ist tatsächlich nicht jedes noch so fahrradunfreundliche Detail der Ausführungsplanung sondern die generelle Herangehensweise sowie festgefahrene Strukturen und Abläufe in Wirtschaft und Politik auch auf kommunaler Ebene. Erstens fahren offensichtlich viele der beteiligten Entscheidungsträger:innen und Planer:innen nicht besonders oft Fahrrad.
Zweitens und wesentlich relevanter: Die Ambivalenz zwischen der Dynamik eines Strukturwandels und der langen Dauer einer Projektplanung, auf die der Strukturwandel selbst unmittelbaren Einfluss haben sollte. Ein Verkehrsprojekt, welches auf einen Nutzungszeitraum von mehreren Dekaden ausgelegt ist, wird auch besonders lange geplant, verändert und beschlossen. Das trifft natürlich auch auf das Projekt “Stadtbahn 2020” zu, dieses wurde circa 10 Jahre geplant. Ungünstigerweise haben sich in den letzten Jahren ziemlich viele gesellschaftliche Vorgänge und Tendenzen verändert – insbesondere im Bereich der Mobilität. Dieser Wandel und dessen Geschwindigkeit wird aufgrund der drohenden Folgen des Klimawandels noch drastisch zunehmen – klopf, klopf 49 Grad in Kanada und Hitzetote. Von daher wären flexible Anpassungen in der Planung von Langzeitprojekten zur Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Folgen wünschenswert und notwendig – nicht nur ökonomischen.
[Hier findet ihr die Einwendung der tuuwi als PDF zum Nachlesen]
[1] Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Cotta_(Stadtbezirk)
[2] Quelle: https://www.caz-lesen.de/campus-news/zellescher-weg-das-ist-der-aktuelle-stand-zum-ausbau.html
[3] Quellen: ADFC Dresden (mit Petition!) und BUND Dresden