Tage im „Gefahrengebiet“ – Eindrücke vom Hambacher Forst

(Aufgeschrieben vor gut einer Woche, nach den ersten Tagen der Räumung)

Intro

Norbert grinst und meint: Eigentlich alles ganz normal hier, oder?

Das Hier ist der Hambacher Forst und das „Gefahrengebiet“ drum herum wird seit Tagen von Polizei belagert und gefühlt ist das alles nicht wirklich normal.

Das kleine Waldstück, welches vom einstigen Forst noch übrig geblieben ist, ist vielleicht 1 x 3 km groß, grenzt an einen schmalen Streifen Tagebauvorfeld und danach geht es 400 m steil bergab in das größte Loch Europas.

Um das Waldstück befinden sich Felder und Äcker – freies, flaches Land, abgeerntete Kartoffeln, Mais, Rüben. Der Boden ist karg und lehmig. Es ist trocken und heiß. Fährt ein Fahrzeug über ein Feld, wirbelt es bei diesem Sturm so viel Staub auf, dass es von weitem aussieht, als würde Rauch aufsteigen und das Feld brennen. In den vergangen Tagen hat es Team Blau aber auch schon hinbekommen, ein Feld in Brand zu setzen. Endlich ein sinnvoller Einsatzzweck für die Wasserwerfer.

Wenn man bei dem heftigen Sturm in einer der Staubwolken steht und diese davongetragen wird, hat das etwas Endzeitliches. Mitte September, kahle, vertrocknete Felder, seit Monaten kaum Regen, 31 Grad. Nach einigen Tagen kriecht der Staub in jede Ritze. Auf der Haut ist nicht zu unterscheiden ob die Bräune von der Sonne oder dem Staub herrühren. Sollten die Folgen der Kohleverstromung oft sehr abstrakt sein, hier liegen sie nah beieinander.

Ankommen

Schon die Fahrt zu diesem Ort mit der S-Bahn, welche Köln und Aachen verbindet, war nicht ganz problemlos. Zunächst gab es Durchsagen, die Fahrt verzögere aufgrund „Personen auf dem Gleiskörper“. Zwanzig Minuten später war von einem Böschungsbrand die Rede.

Mit einstündiger Verspätung erreicht der Zug dennoch den kleinen Bahnhof Buir. Schon von dort aus kann man am Horizont die weit entfernte, gegenüberliegende Abbaukante des Tagebaus Hambach sehen. Und schon dort hat das etwas Abstraktes, Unwirkliches. Die Umgebung verliert ihren Maßstab. 10 oder 100 Meter? Die Vorstellung dazu verschwindet.

Bis zum Hambacher Forst sind es nur wenige Kilometer, welche die meisten Menschen zu Fuß gehen. Es gleicht einer Prozession. Studis, Journalisten und Journalistinnen, Antifas, Familien, Umweltbewegte, Alternative, Linke, kommunistisch Angehauchte, Schaulustige, Verlorene, Erleuchtete, Menschen mit Ziel und Menschen ohne Ziel.

Unterwegs ist so gut wie jede Fläche mit Botschaften versehen – Hambi bleibt – Stop Coal – Code rood – Ende Gelände – Coal kills – Save the forest.

Der Weg vom Bahnhof führt über die neu gebaute Autobahn A4, deren vorheriger Verlauf entlang der derzeitigen Abbaukante entlangläuft. Danach überquert man die Schienen der Hambachbahn, welche die Kohle vom Tagebau zu den nahe gelegenen Kraftwerken Niederaußem, Frimmersdorf und Neurath transportiert.

Bereits jetzt fallen die ständig hin- und herfahrenden Wagen der Polizei auf. Danach sieht man aus der Entfernung einen LKW mit zwei Containern, die Aufschrift: „Mediapoint“ und „Greenpeace“. Und „Stopp Kohle jetzt“.

Umso näher man dem Forst kommt, desto mehr Polizei wird sichtbar. Unzählige Einsatzwagen, Pferdetransporter, Räumfahrzeuge.

Aber auch ein kleiner Pavillon mit PACE-Flagge, der in dieser Weite völlig verloren wirkt. Die Mahnwache, eine Art Infozentrale und Treffpunkt. Man kann etwas essen, sich austauschen. Schwarze Bretter, Veranstaltungsankündigungen, analoge Liveticker.

Von diesem Punkt aus lässt sich das verbliebene Stück Wald gut erkennen. In Gesprächen wird deutlich, dass man schon seit Tagen nicht mehr offiziell in den Wald kommt. Team Blau hat eine fein säuberliche Linie um den Wald gezogen, die mal dichter, mal weniger dicht ist. Bewegen sich Menschen in Richtung der Linie, werden jene innerhalb kürzester Zeit empfangen und darauf hingewiesen, dass es hier nicht weitergeht.

Dieses Spiel lässt sich in allen erdenklichen Eskalationsstufen beobachten. Gehen Menschen entspannt auf die Linie zu, werden sie entspannt zurückgewiesen. Mit mehr Geschwindigkeit und Engagement, wird es handgreiflicher und ruppiger. Schnell liegt Mensch schon mal auf dem Boden und hat ein Knie im Rücken. Dennoch gibt es Wege in den Wald.

 

Verweilen

Etwas entfernt und die Szenerie betrachtend steht Norbert. Im Schatten einer Kastanie, lehnt er an seinem Motorrad, trägt Lederkombi und eine Pilotenbrille. Er erzählt, dass er aus Duisburg kommt und oft hier ist. Dreißig Jahre war er Polizist, jetzt ist er im Ruhestand.

Im letzten Jahr stand er noch am Tagebau Garzweiler, 20 Kilometer nördlich von hier, bei einer Ende Gelände Blockade auf der anderen Seite. Aber nicht mehr in der ersten Reihe. Das sollen die jungen Kollegen machen. Aber gerade bei denen, die noch neu sind und wenig Erfahrung haben, gehen die Emotionen auch schon mal durch. In diesem Jahr seien die Neueinstellungen in Nordrhein-Westfalen nicht wie üblich im Oktober, sondern schon im September erfolgt. Außerdem gibt es eine Urlaubssperre. Man habe alles aufgeboten, was laufen kann. Ob dieses Alles wirklich für so einen Einsatz geeignet ist, bleibt offen.

Dennoch imponiert es ihm, dass Menschen ihr Leben riskieren, um den Wald vor der Abholzung zu bewahren. Er berichtet bewundernd von Aktivistinnen, die sich einige Meter tief in Löchern verschanzt hatten. Diese Überzeugung für ein größeres Ziel einzutreten, hat ihn offenbar sehr nachdenklich gemacht. Er kann nicht verstehen, wie hier seine Kollegen und Kolleginnen „verbraten“ werden um eine antiquierte Energieform am Leben zu erhalten. Den Wald zu bewahren wäre das Mindeste.

Wenn er nicht sein halbes Leben lang Polizist gewesen wäre, würde er vermutlich auch gegen die Räumung protestieren. So steht er da, sieht zu und schüttelt die ganze Zeit innerlich mit dem Kopf. In diesem Moment ist er ein Sinnbild für den Konflikt. Hin und hergerissen zwischen seinem alten Leben für „Recht und Gesetz“ auf der einen Seite und etwas Grundsätzlicherem, wo nicht mehr ganz klar ist, ob die von ihm geschützten Gesetze eigentlich noch einen Sinn ergeben.

Bleiben

Nicht weit entfernt von ihm steht das Wiesencamp. Wobei der Name nicht ganz zutreffend ist, denn das Camp besteht aus schätzungsweise 20 bis 30 Wohnwagen, aber auch richtgen Häusschen, welche auf einer kleinen Wiese direkt am Waldrand stehen. Bemerkenswert ist die Vielfalt an Bauformen und genutzten Materialien. Besonders auffallend sind mehrere kleine Lehmhäuschen, welche gekonnt den vorhandenen Lehmboden als Baustoff nutzen und diesen mit Glasbausteinen und Holz kombinieren.

In den letzten Monaten und Jahren diente das Camp als Anlauf- und Versorgungspunkt für die Baumhäuser im Wald. Und so ist es heute noch immer. Die Bewohner sind sichtlich erschöpft und etwas überfordert von den letzten Tagen, freuen sich aber dennoch über Besuch und Austausch. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass sie manchmal gern etwas Ruhe hätten. Widerstand kostet Kraft.

Direkt hinter dem Camp beginnt der Wald und genau an dieser Stelle steht, Mensch an Mensch, eine Polizeilinie.

Da es aber nicht gut ist, diese schwarzen, bedrohlich wirkenden Menschen den ganzen Tag sehen zu müssen, ist man bemüht, direkt vor eben jenen, mehrere große graue Folien aufzuhängen. Das ist möglich, denn die Wiese ist Privatgrundstück und Polizei darf hier nur eingreifen, wenn „Gefahr im Verzug“ ist. Das Aufhängen von grauen Folien gehört glücklicherweise nicht zu gefahrerzeugenden Tätigkeiten und so lässt man die Dinge geschehen. Das passiert bei diesem Sturm zwar eher schlecht als recht, nach einer Weile aber hängen sie und Team Blau blickt nun nicht mehr in das Camp sondern auf graue Folien. Ein klein wenig Genugtuung, während wenige Meter weiter Baumhäuser zerlegt werden.

So entwickeln sich die Dinge. Menschen wie Norbert und viele andere stehen da und verstehen die Welt nicht mehr. Und im Unterschied zu vor einigen Jahren werden es stetig mehr, die sich nicht mehr damit abfinden können, dass Wälder und Orte abgebaggert werden, damit Kraftwerke CO2 produzieren können.

Tage später, auf dem Rückweg in der S-Bahn nach Köln, liegen auf vielen Sitzen Flyer vom Kletterwald Leipzig. Es wird mit Baumhäusern geworben, in denen man übernachten könne. Der Slogan lautet „Abhängen kannst du auch bei uns“.

Der Kommerz frisst alles, denke ich mir.

Festgehalten von einem Menschen der tuuwi.

 

 

Zukunfts-Zug: Mit Wasserstoff von Cuxhaven nach Buxtehude

Seit Montag sind in Norddeutschland zwei mit Wasserstoff betriebene Triebwagen im Einsatz.

Bericht von Jonas Bechtel

 

Leise sirren die Motoren, und der Zug setzt sich in Bewegung, bis die Aggregate nach ca. 6 Sekunden mit einem unüberhörbaren mittel-hoch-frequenten Ton einsetzen. Sobald der Coradia iLint, vorgestellt auf der letzten Eisenbahn-Messe Innotrans (2016) und (schon) im Juli dieses Jahres (2018) zugelassen, die Reisegeschwindigkeit erreicht hat, hört man im Fahrgastraum wieder – nichts*.

Was ist besonders an diesem Zug? Er fährt erst seit Montag, pünktlich zur diesjährigen Innotrans (2018) vom Hamburger Umland an die Nordsee und ist damit der weltweit erste mit Wasserstoff betriebene Zug im regulären Linienbetrieb.

Während der Wasserstoffantrieb bei Privat-Autos wohl nie eingesetzt werden wird (→https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/brennstoffzellenauto-102.html), ist eine Einsatz im Busnahverkehr möglich, so testet die Hochbahn seit 2003 mehrere Modelle (→ https://dialog.hochbahn.de/bus-in-zukunft/brennstoffzellenhybridbus-in-hamburg-2/). Der Einsatz von Wasserstoffzügen im Schienen-Fernverkehr ist ebenso unwahrscheinlich, wie es auch bei den Dieselzügen ist: Der Betrieb der ICE-TD der DB wurde im Jahr 2017 eingestellt. Der Hauptgrund liegt wohl in der niedrigen Leistungsdichte der Diesel-/Wasserstoff-Technik. Für die hohe Fahrleistung (also den hohen Energieverbrauch) im Hochgeschwindigkeitsverkehr müssten Großteile des Zugs aus Antriebstechnik bestehen.
Aber für den Nahverkehr auf selten befahrenen** unelektrifizierten Strecken stellt der Wasserstoffantrieb eine wirtschaftlich sinnvolle Option dar.

Zur Brennstoffzellentechnik

Es gibt verschiedene Stoffe, die in Brennstoffzellen in elektrischen Strom und Wärme umgewandelt werden. Hier geht es um den reinen Wasserstoff (H2), der entweder als Abfallprodukt aus einem chemischen Prozess anfällt oder per Elektrolyse aus Wasser (H2O) entsteht. Für die Elektrolyse wird Strom gebraucht, der z. B. von einem Windrad während Stromüberschussphasen erzeugt werden könnte.

In der Brennstoffzelle wird auf der einen Seite Wasserstoff und auf der anderen Seite Sauerstoff an eine Membran geführt. Der Wasserstoff ist einerseits bestrebt, zum Sauerstoff zu gelangen, passt aber nur ohne sein Elektron und ohne Molekülbindung durch die Membran. Da die Anziehungskraft des Sauerstoffs größer als die Bindung zum anderen Wasserstoff-Atom und zu den Elektronen in der Atombindung ist, wandern die Wasserstoff-Ionen (H+) durch die Membran und reagieren auf der anderen Seite mit dem Sauerstoff. Die freiwerdenden Elektronen werden mit einer Platte gesammelt und stellen den Strom dar, der nach Parallelschaltung und Umrichtung für einen Zugantrieb genutzt werden kann.

Vergleich der Antriebsarten im Zugverkehr

Die wichtigsten Antriebsarten sind hier nacheinander dargestellt. Nicht im Vergleich sind die folgenden Antriebstechniken enthalten: Seilbahnen, Standseilbahnen, Batteriebetrieb, Dampfloks.

Elektrisch (Fahrleitung/Stromschiene)

Energiebetrachtung (Ausschnitt): Mittlerer Verlust bei Übertragung, hoher Wirkungsgrad der Motoren

Sicherheit: Sicher. Es darf niemand an die Oberleitung/Stromschiene fassen.

Geschwindigkeit: Hoch

Leistungsdichte****: Hoch (eine Lok reicht vor einem langen Güterzug/Schnellzug)

Lautstärke: Leise

Schadstoffausstoß: Nur Wasserdampf, außerdem während der Stromerzeugung, wenn überhaupt.

Anfahrdynamik*****: Hoch

Energierückgewinnung: Heute Standard; häufig per Einspeisung in die Stromleitung.

 

Elektrisch (Wasserstoff)

Energiebetrachtung (Ausschnitt): Hoher Verlust durch Brennstoffzellen (nur 42% Wirkungsgrad bei einem Zyklus***), hoher Wirkungsgrad der Motoren

Sicherheit: „Genau so sicher wie andere Zugfahrten auch“. [Wenn sich Wasserstoff mit Luft/Sauerstoff mischt, entsteht explosives Knallgas.]

Geschwindigkeit: Hoch (nicht so hoch wie mit Oberleitung)

Leistungsdichte****: Niedrig (Speicher, Brennstoffzellen und Umrichter brauchen Platz)

Lautstärke: Laut beim Anfahren, leise im Leerlauf.

Schadstoffausstoß: Nur bei der Stromerzeugung, wenn überhaupt.

Anfahrdynamik*****: Mittel

Energierückgewinnung: Technisch möglich, derzeit mit Lithium-Ionen-Akkus zwischengespeichert.

 

Dieselbetrieben (inkl. dieselelektrisch)

Energiebetrachtung (Ausschnitt): Geringer Nutzwirkungsgrad des Motors (33 %)

Sicherheit: Sicher. Die Entlüftung der durchfahrenen Tunnel muss funktionieren.

Geschwindigkeit: Hoch (nicht so hoch wie mit Oberleitung)

Leistungsdichte****: Niedrig (zwei Loks BR 218 sind vor einem IC nötig.)

Lautstärke: Sehr laut beim Anfahren, laut im Leerlauf

Schadstoffausstoß: Wasserdampf, Feinstaub, Kohlenstoffdioxid, Kohlenstoffmonoxid, u. a. (berechenbarer als bei Diesel-Pkw)

Anfahrdynamik*****: Niedrig

Energierückgewinnung: I. d. R. keine (ggf. im dieselelektrischen Betrieb)

Ausblick

Wenn der Zug iLint bremst, wird die zurückgewonnene Energie in den Lithium-Ionen-Akkus gespeichert. Technisch wäre es zwar möglich, am Zug eine Elektrolyse durchzuführen und die zurückgewonnene Energie als Wasserstoff wieder in die Tanks zu speichern. Aber die notwendigen Apparate sind vmtl. aufwändiger und teurer als die Akkus.

Derzeit stammt der Wasserstoff noch vom „Großmarkt“, könnte aber auch bald von einem Chemiebetrieb in Stade geliefert werden, wo er als Abfallprodukt anfällt. Und vielleicht werden in Zukunft tatsächlich die Windenergieanlagen für die Wasserstofferzeugung genutzt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass bald weitere spannende Meldungen rund um den neuen Wasserstoffzug zu lesen sein werden.

(Anmerkungen)

* Dass man nichts hört, stimmt nicht. Abhängig davon, an welcher Stelle im Zug man sich befindet, hat man ein so starkes Klimaanlagengeräusch, dass man die feierliche Begrüßungs-/Verabschiedungsdurchsage schlicht nicht verstehen kann.

** (1 Zugpaar pro Stunde)

*** Die Elektrolyse von Wasserstoff aus Wasser hat einen energetischen Wirkungsgrad von 70%; die Nutzung in der Brennstoffzelle geht mit Wirkungsgraden um 60% einher. Insgesamt weist das Wasserstoffsystem also (ohne Transport) einen Wirkungsgrad von 42% auf. Falls der Wasserstoff als Abfallprodukt in einem Industrieprozess anfällt, kann dieser Wert sogar steigen.

**** je höher die Dichte, desto weniger Platz braucht eine Antriebseinheit

***** eine schnelle Beschleunigung ermöglicht kompaktere Bahnhöfe

Trampen – Weg und Ziel

Seit etwa einem Jahr trampe ich dann und wann von Dresden nach Berlin und zurück. Abenteuerlust, Geiz aber vor allem diese Absurdität, dass so viele Autos auf den Straßen rumfahren, in denen nur ein Mensch sitzt, sind meine Motivation.

Da fahre ich dann also mit meinem Pappschild, auf dem „Berlin“ mit der Linie 70 bis zu einer Kreuzung kurz vor der Autobahnauffahrt, setze an mein breitestes Lächeln auf, halte den Daumen raus und warte. Meistens nicht länger als 10 Minuten, dann hält jemand an und will mich mitnehmen.

Ich werfe einen Blick in das Auto und frage mich: wie ist mein Bauchgefühl? Jedenfalls versuche ichs, aber dazu später mehr.
Meistens ist es gut.
„Hallo, ich bin Henrike. Fährst du nach Berlin rein?“ „Ja, genau“ „Cool, dann würd ich gern mitfahren. Wärs okay, wenn ich einer Freundin das Autokennzeichen schicke“ „Ja, klar, kein Problem“. Dann tipp ich das Kennzeichen in mein Handy und steige ein.

Bei den ganzen lieben Leuten, die mich mitnehmen, habe ich bis jetzt drei Motivationen bzw. „Typen“ feststellen können. Völlig verallgemeinernd und ungenau, natürlich.

1. Ältere Herren, die beruflich unterwegs sind
schnelle große Autos, viel Technik installiert. Nehmen nicht oft Tramper/innen mit, aber ich sah ungefährlich aus. Dann reden wir viel über das, was ich so mache, und ein bisschen über das, was er so macht und ich kriege (teilweise vermeintlich) wertvolle Lebensratschläge. In kürzester Zeit bin ich am Ziel, denn wir Brettern mit 190 über die A13.

2. Familien
Weil ich so nett aussah halten sie an. Und manchmal auch, weil sie hoffen, dass ihre Kinder selbst nie, NIE trampen werden und wenn schon, dann bitte, bitte, dann nicht von gefährlichen Menschen mitgenommen werden. Je nach Alter der anwesenden Kinder /Jugendlichen läuft eine Märchenkasette oder K-Pop. Es ist voll entspannt, ich sitze ruhig auf dem Rücksitz und hab Zeit zum Schlafen oder Lesen oder Märchenkasette hören.

3. Tramper
Sie sind selbst schon viel in der Welt rumgetrampt, und haben da viele schöne Erfahrungen gemacht oder finden das aus anderen Gründen gut, zum Beispiel ökologischen. Ihre Fahrten haben sie auch bei einer Online-Mitfahrzentrale angeboten, aber niemand wollte, oder vielleicht steigt noch jemand in Berlin dazu. Die Autos sind kleiner und/oder älter als von Typ 1 und 2, vielleicht auch geliehen. Wo unser Gespräch uns hinführt, weiß ich vorher nie. Aber dort wo ich hin will, komme ich gut unter- und wohl behalten an.

das Wohlbehalten ankommen ist beim Trampen ein Thema, das eigentlich alle beteiligten beschäftigt. Immerhin kommt man auf sehr engem Raum zusammen, ein Raum, der für den einen ein eigener privater Raum ist in dem man jemand anderen einläd, und gleichzeitig eine abschließbare bewegliche Kapsel, in die sich der andere begibt.

Ich hatte bis jetzt beim Trampen – also insgesamt vielleicht 15 Fahrten – eine Situation, in der ich mich echt unwohl gefühlt habe: Mein Begleiter fing auf einmal an, davon zu erzählen, wie ihn mal eine Tramperin ins Lenkrad gegriffen und ihn mit Pfefferspray bedroht habe. WTF?!

Und hier greift meiner Meinung nach genau das, was ich oben schon meinte: Mein Bauchgefühl war eigentlich auch am Anfang nicht gut, eingestiegen bin ich aber trotzdem. Seit dem bin ich konsequenter darin, das Kennzeichen des Autos, in das ich einsteige einer vertrauten Person zu schicken, und dem/der Fahrer/in das auch zu sagen. Aber bisschen Risiko ist natürlich immer da. Leben halt.

Die, die sich entscheiden mich mit zu nehmen, machen natürlich auch eine Risikoabwägung für sich.  Ich bin eine junge weiße Frau, die allein unterwegs ist. Ich denke auch, dass man mir meine Soziale Blase ansehen kann, daran, wie ich mich kleide und wie ich mich verhalte, wie ich rede: junge Akademikerin. “Die Leute” haben vor mir wenig Angst. Das ist schön für mich, denn ich werde schnell mitgenommen. Einen Mann in meinem Alter, oder mehrere: die meisten (Typ 1 und 2), die mich mitnehmen haben mir auch ganz klar gesagt, dass sie da nie auf die Idee kämen, an zu halten. Ich werde als ungefährlicher und gefährdeter wahrgenommen. Ich sehs als Privileg, und wünsche mir, dass die Assoziation von Männlichkeit (und auch nicht-weiß-sein) weiter abgebaut wird. Ich gönns meinen männlichen Freunden, nicht 3 Stunden auf einer Autobahnraststätte jeden anzusprechen, und nicht mitgenommen zu werden.  Vielleicht sind der Großteil der Gewalttäter Männer, und mit ziemlicher Sicherheit ist der Großteil der Männer nicht gewalttätig. Wie wir ingesamt mehr Vertrauen ineinander haben können, ist eine Frage, die mich beschäftigt – und ob das überhaupt eine sinnvolle Utopie ist.

Was meint ihr?

(hc)

Auf der falschen Schiene – Über Zugzwang in Zeiten des Klimawandels

„Guten Tag, herzlich willkommen im Intercity von Dresden Hbf nach Wiesbaden Hbf! Wenn Sie der reichen Oberschicht angehören oder zumindest so wirken wollen, dann sind Sie hier genau richtig! Für nicht einmal 100 € (Sitzplatzreservierung nicht inklusive) kommen Sie hier ohne Umsteigen bequem von Dresden bis nach Frankfurt a. M.! Klingt günstig? Dann nehmen Sie doch lieber gleich die erste Klasse! Das ist wie zweite Klasse, nur 75 € teurer. Ach so, Sie studieren? Dann muss ich Sie leider darauf hinweisen, dass Ihr Sachsenticket in diesem Zug keine Gültigkeit besitzt. Nein, auch nicht für einen Tagestrip nach Leipzig. Wenn Sie irgendwann am Anfang Ihrer Studienzeit einmal die AGB gelesen haben, wird Ihnen sicherlich aufgefallen sein, dass schnelle Züge vom Semesterticket ausgeschlossen sind. Für einen erhöhten Fahrpreis von 60 € nehmen wir Sie aber selbstverständlich gerne mit! Wegen Erschleichung einer kostenpflichtigen Leistung, ach, nennen wir es einfach Schwarzfahren. Erpressung? Nein, so ein starkes Wort, von irgendetwas müssen die Bahnangestellten doch leben. Die Deutsche Bahn ist ja auch kein Wohlfahrtsunternehmen…“

Kkkrrck!

Wie wahr! „Der Klimawandel wartet nicht auf den Bachelor“, hat mir jemand gesagt. Die Deutsche Bahn offenbar schon. Denn während im Jahre 2018 mehr Menschen ein Auto besitzen als jemals zuvor und diese trotz effizienterer Motoren durch wachsende Größe und Gewicht mehr Sprit verbrauchen als ihre unsauberen Vorgänger, dann müssen zügig Alternativen geschaffen werden, wenn wir auch in hundert Jahren noch mobil sein wollen. Dass ein Elektroauto für jede*n nicht die Lösung des Problems sein kann, dürfte auch allen (Hersteller von Elektroautos ausgenommen) einleuchten. Und was den Flugverkehr betrifft, so war dieser immer schon ein Privileg der Industrienationen. Nicht auszudenken was passierte, wenn plötzlich alle Nigerianer auf die Idee kämen, für 29,00 € in den Urlaub zu fliegen. Oder doch lieber eine Kreuzfahrt an das Nordkap? Ja, die westliche Welt ist schon verdammt kreativ darin, sich Fortbewegungsarten auszudenken, die auf Kosten des ganzen Erdballs gehen.

Der Schienenverkehr hingegen wird auf lange Sicht wohl am effizientesten bleiben. Geringer Widerstand, große Reichweite, keine Staus, keine Eisberge – die Bahngesellschaften sind sich der Vorteile durchaus bewusst. Und doch bahnt sich Ärger an. 100 % Ökostrom? Schön wäre es! Auch wenn gerne behauptet wird, Bahnfahren sei gut für die Umwelt – von einem klimaneutralen Schienenverkehrssystem sind wir noch meilenweit entfernt. Dass die Züge in Deutschland immer noch zu einem großen Teil mit Strom aus Kohle, Atomkraft oder Erdgas fahren, macht sich natürlich nicht besonders gut. Und dadurch, dass man dieses Netzwerk ausbaut, ändert sich am Grundproblem leider erst mal gar nichts.

Und das einzige, was den Bahngesellschaften einfällt, ist, Greenwashing zu betreiben und gleichzeitig die Fahrpreise zu erhöhen. „Nun gut!“, könnte man sagen, „Zugfahren kostet eben Geld und wenn man dafür etwas tiefer in die Tasche greifen muss, dann überlegen die Leute es sich vielleicht zweimal, ob sie wirklich jede Woche quer durch Deutschland fahren wollen. Schließlich verbrauchen auch Züge Strom. Und wo Leistungen vergünstigt werden, ist ein Rebound-Effekt schon vorprogrammiert.“ Dumm nur, dass Zugfahren damit auch national zu einem Privileg der Reichen wird. Denn so etwas wie ein Grundrecht auf Mobilität gibt es eben nicht. Während manche sich weder ein Jahresticket für die Straßenbahn noch ein verkehrstaugliches Fahrrad leisten können, halten es andere für selbstverständlich, jederzeit an jeden Ort der Welt gelangen zu können. Wer hingegen diesem Klassensystem zu entkommen versucht, macht sich leicht strafbar. Nicht nur im juristischen Sinne – Schwarzfahren ist in Deutschland auch ein moralisches Verbrechen. Es gehört sich eben nicht. Was bilden sich diese „Sozialschmarotzer“ bloß ein, auf Kosten der anderen zu fahren? Es ist schon bezeichnend für unsere Gesellschaft, Armut als scheinbar logische Konsequenz moralischer Verderbtheit zu deklarieren. Nicht umsonst sprechen viele selbsternannte Progressive gerne von „sozial Schwachen“, wenn sie eigentlich die aus dem Kapitalismus hervorgegangenen Verlierer meinen, und halten diese Terminologie sogar noch für Politcal Correctness. Mit Gleichberechtigung hat das nichts zu tun. Zugfahren können in Deutschland nur diejenigen, die es sich leisten können. Der Klimawandel wartet nicht auf den Bachelor. Wer hingegen gerne verreist, sollte sich vor dem Gang zum Fahrkartenautomaten lieber um einen Hochschulabschluss und ein festes Einkommen kümmern.

Also was können wir tun? Den (Nah-)personenverkehr kostenlos und vor allem auch bedingungslos (d.h. für alle, nicht nur für Deutsche) zu gestalten, wäre ein geradezu bahnbrechender Schritt, hin zu einer klassenlosen Gesellschaft, in welcher nicht mehr der Kontostand über die Grundrechte entscheidet. Natürlich nur einer von vielen, aber kein unwichtiger. Weitaus radikalere Ideen werden folgen.

Utopisch? Das ist gerade erst der Anfang! Wie wäre es zum Beispiel mit…

Kkkrrck!

„Verzeihen Sie die kurze Störung. Aufgrund eines technischen Defekts ist es zu unerwarteter Kritik gekommen. Es ist aber weiter nichts Schlimmes passiert. Genießen Sie die Fahrt in vollen Zügen. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Weiterreise!“

DB

Do (repair) it (your bicycle) yourself (with a little help)

Wer öfters mal mit dem Fahrrad unterwegs ist (und wer nicht sollte es mal ausprobieren macht Spaß!) der wird wissen, dass das Ding einfach nicht ewig hält. Die Kette springt dauernd runter, irgendetwas schleift oder der Lenker wackelt komisch… Entweder man ignoriert das dann gekonnt (schlecht) oder aber man geht die Sachen an (sehr gut, sein Zeug zu pflegen und zu reparieren ist Ressourcenschonung pur!). Gut, dass es da neben den normalen Fahrradläden und -werkstätten auch noch eine Alternative für das chronisch leere (Studenten-) Konto gibt: Fahrradselbsthilfewerkstätten. Klar, fast jeder hat schon davon gehört, dieser Post soll ja aber auch nicht nur eine Info sein, sondern eher der Appel, mal selbst davon Gebrauch zu machen!
Was man dabeihaben muss:

      • Das eigene Fahrrad mit dem leider etwas nicht in Ordnung ist
      •  Lust, selbst (oder mit der tatkräftigen Hilfe der ehrenamtlichen Mitarbeiter dort) das Problem zu suchen (falls nicht schon bekannt) und zu lösen
      • Etwas Zeit
      • Eine kleine Spende, wenn ihr nett sein wollt

    Ob du noch nie einen Platten geflickt hast oder dir dein Fixed Gear Messenger Bike komplett selbst zusammengeschraubt hast, dir wird Hilfe zur Selbsthilfe geleistet, und sei es nur, dass du ein spezielles Werkzeug brauchst welches kein Mensch sonst selbst besitzt. Probiert es doch einfach das nächste Mal aus, in puncto Öffnungszeiten und Adressen hilft euch die Suchmaschine eures Vertrauens (Stichwort: „Fahrradselbsthilfewerkstatt Dresden“) weiter.
    Liebe geht raus an alle ehrenamtlichen, engagierten Fahrradschrauber*innen, die uns alle dort mit Rat und Tat unterstützen. <3