Tage im „Gefahrengebiet“ – Eindrücke vom Hambacher Forst

(Aufgeschrieben vor gut einer Woche, nach den ersten Tagen der Räumung)

Intro

Norbert grinst und meint: Eigentlich alles ganz normal hier, oder?

Das Hier ist der Hambacher Forst und das „Gefahrengebiet“ drum herum wird seit Tagen von Polizei belagert und gefühlt ist das alles nicht wirklich normal.

Das kleine Waldstück, welches vom einstigen Forst noch übrig geblieben ist, ist vielleicht 1 x 3 km groß, grenzt an einen schmalen Streifen Tagebauvorfeld und danach geht es 400 m steil bergab in das größte Loch Europas.

Um das Waldstück befinden sich Felder und Äcker – freies, flaches Land, abgeerntete Kartoffeln, Mais, Rüben. Der Boden ist karg und lehmig. Es ist trocken und heiß. Fährt ein Fahrzeug über ein Feld, wirbelt es bei diesem Sturm so viel Staub auf, dass es von weitem aussieht, als würde Rauch aufsteigen und das Feld brennen. In den vergangen Tagen hat es Team Blau aber auch schon hinbekommen, ein Feld in Brand zu setzen. Endlich ein sinnvoller Einsatzzweck für die Wasserwerfer.

Wenn man bei dem heftigen Sturm in einer der Staubwolken steht und diese davongetragen wird, hat das etwas Endzeitliches. Mitte September, kahle, vertrocknete Felder, seit Monaten kaum Regen, 31 Grad. Nach einigen Tagen kriecht der Staub in jede Ritze. Auf der Haut ist nicht zu unterscheiden ob die Bräune von der Sonne oder dem Staub herrühren. Sollten die Folgen der Kohleverstromung oft sehr abstrakt sein, hier liegen sie nah beieinander.

Ankommen

Schon die Fahrt zu diesem Ort mit der S-Bahn, welche Köln und Aachen verbindet, war nicht ganz problemlos. Zunächst gab es Durchsagen, die Fahrt verzögere aufgrund „Personen auf dem Gleiskörper“. Zwanzig Minuten später war von einem Böschungsbrand die Rede.

Mit einstündiger Verspätung erreicht der Zug dennoch den kleinen Bahnhof Buir. Schon von dort aus kann man am Horizont die weit entfernte, gegenüberliegende Abbaukante des Tagebaus Hambach sehen. Und schon dort hat das etwas Abstraktes, Unwirkliches. Die Umgebung verliert ihren Maßstab. 10 oder 100 Meter? Die Vorstellung dazu verschwindet.

Bis zum Hambacher Forst sind es nur wenige Kilometer, welche die meisten Menschen zu Fuß gehen. Es gleicht einer Prozession. Studis, Journalisten und Journalistinnen, Antifas, Familien, Umweltbewegte, Alternative, Linke, kommunistisch Angehauchte, Schaulustige, Verlorene, Erleuchtete, Menschen mit Ziel und Menschen ohne Ziel.

Unterwegs ist so gut wie jede Fläche mit Botschaften versehen – Hambi bleibt – Stop Coal – Code rood – Ende Gelände – Coal kills – Save the forest.

Der Weg vom Bahnhof führt über die neu gebaute Autobahn A4, deren vorheriger Verlauf entlang der derzeitigen Abbaukante entlangläuft. Danach überquert man die Schienen der Hambachbahn, welche die Kohle vom Tagebau zu den nahe gelegenen Kraftwerken Niederaußem, Frimmersdorf und Neurath transportiert.

Bereits jetzt fallen die ständig hin- und herfahrenden Wagen der Polizei auf. Danach sieht man aus der Entfernung einen LKW mit zwei Containern, die Aufschrift: „Mediapoint“ und „Greenpeace“. Und „Stopp Kohle jetzt“.

Umso näher man dem Forst kommt, desto mehr Polizei wird sichtbar. Unzählige Einsatzwagen, Pferdetransporter, Räumfahrzeuge.

Aber auch ein kleiner Pavillon mit PACE-Flagge, der in dieser Weite völlig verloren wirkt. Die Mahnwache, eine Art Infozentrale und Treffpunkt. Man kann etwas essen, sich austauschen. Schwarze Bretter, Veranstaltungsankündigungen, analoge Liveticker.

Von diesem Punkt aus lässt sich das verbliebene Stück Wald gut erkennen. In Gesprächen wird deutlich, dass man schon seit Tagen nicht mehr offiziell in den Wald kommt. Team Blau hat eine fein säuberliche Linie um den Wald gezogen, die mal dichter, mal weniger dicht ist. Bewegen sich Menschen in Richtung der Linie, werden jene innerhalb kürzester Zeit empfangen und darauf hingewiesen, dass es hier nicht weitergeht.

Dieses Spiel lässt sich in allen erdenklichen Eskalationsstufen beobachten. Gehen Menschen entspannt auf die Linie zu, werden sie entspannt zurückgewiesen. Mit mehr Geschwindigkeit und Engagement, wird es handgreiflicher und ruppiger. Schnell liegt Mensch schon mal auf dem Boden und hat ein Knie im Rücken. Dennoch gibt es Wege in den Wald.

 

Verweilen

Etwas entfernt und die Szenerie betrachtend steht Norbert. Im Schatten einer Kastanie, lehnt er an seinem Motorrad, trägt Lederkombi und eine Pilotenbrille. Er erzählt, dass er aus Duisburg kommt und oft hier ist. Dreißig Jahre war er Polizist, jetzt ist er im Ruhestand.

Im letzten Jahr stand er noch am Tagebau Garzweiler, 20 Kilometer nördlich von hier, bei einer Ende Gelände Blockade auf der anderen Seite. Aber nicht mehr in der ersten Reihe. Das sollen die jungen Kollegen machen. Aber gerade bei denen, die noch neu sind und wenig Erfahrung haben, gehen die Emotionen auch schon mal durch. In diesem Jahr seien die Neueinstellungen in Nordrhein-Westfalen nicht wie üblich im Oktober, sondern schon im September erfolgt. Außerdem gibt es eine Urlaubssperre. Man habe alles aufgeboten, was laufen kann. Ob dieses Alles wirklich für so einen Einsatz geeignet ist, bleibt offen.

Dennoch imponiert es ihm, dass Menschen ihr Leben riskieren, um den Wald vor der Abholzung zu bewahren. Er berichtet bewundernd von Aktivistinnen, die sich einige Meter tief in Löchern verschanzt hatten. Diese Überzeugung für ein größeres Ziel einzutreten, hat ihn offenbar sehr nachdenklich gemacht. Er kann nicht verstehen, wie hier seine Kollegen und Kolleginnen „verbraten“ werden um eine antiquierte Energieform am Leben zu erhalten. Den Wald zu bewahren wäre das Mindeste.

Wenn er nicht sein halbes Leben lang Polizist gewesen wäre, würde er vermutlich auch gegen die Räumung protestieren. So steht er da, sieht zu und schüttelt die ganze Zeit innerlich mit dem Kopf. In diesem Moment ist er ein Sinnbild für den Konflikt. Hin und hergerissen zwischen seinem alten Leben für „Recht und Gesetz“ auf der einen Seite und etwas Grundsätzlicherem, wo nicht mehr ganz klar ist, ob die von ihm geschützten Gesetze eigentlich noch einen Sinn ergeben.

Bleiben

Nicht weit entfernt von ihm steht das Wiesencamp. Wobei der Name nicht ganz zutreffend ist, denn das Camp besteht aus schätzungsweise 20 bis 30 Wohnwagen, aber auch richtgen Häusschen, welche auf einer kleinen Wiese direkt am Waldrand stehen. Bemerkenswert ist die Vielfalt an Bauformen und genutzten Materialien. Besonders auffallend sind mehrere kleine Lehmhäuschen, welche gekonnt den vorhandenen Lehmboden als Baustoff nutzen und diesen mit Glasbausteinen und Holz kombinieren.

In den letzten Monaten und Jahren diente das Camp als Anlauf- und Versorgungspunkt für die Baumhäuser im Wald. Und so ist es heute noch immer. Die Bewohner sind sichtlich erschöpft und etwas überfordert von den letzten Tagen, freuen sich aber dennoch über Besuch und Austausch. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass sie manchmal gern etwas Ruhe hätten. Widerstand kostet Kraft.

Direkt hinter dem Camp beginnt der Wald und genau an dieser Stelle steht, Mensch an Mensch, eine Polizeilinie.

Da es aber nicht gut ist, diese schwarzen, bedrohlich wirkenden Menschen den ganzen Tag sehen zu müssen, ist man bemüht, direkt vor eben jenen, mehrere große graue Folien aufzuhängen. Das ist möglich, denn die Wiese ist Privatgrundstück und Polizei darf hier nur eingreifen, wenn „Gefahr im Verzug“ ist. Das Aufhängen von grauen Folien gehört glücklicherweise nicht zu gefahrerzeugenden Tätigkeiten und so lässt man die Dinge geschehen. Das passiert bei diesem Sturm zwar eher schlecht als recht, nach einer Weile aber hängen sie und Team Blau blickt nun nicht mehr in das Camp sondern auf graue Folien. Ein klein wenig Genugtuung, während wenige Meter weiter Baumhäuser zerlegt werden.

So entwickeln sich die Dinge. Menschen wie Norbert und viele andere stehen da und verstehen die Welt nicht mehr. Und im Unterschied zu vor einigen Jahren werden es stetig mehr, die sich nicht mehr damit abfinden können, dass Wälder und Orte abgebaggert werden, damit Kraftwerke CO2 produzieren können.

Tage später, auf dem Rückweg in der S-Bahn nach Köln, liegen auf vielen Sitzen Flyer vom Kletterwald Leipzig. Es wird mit Baumhäusern geworben, in denen man übernachten könne. Der Slogan lautet „Abhängen kannst du auch bei uns“.

Der Kommerz frisst alles, denke ich mir.

Festgehalten von einem Menschen der tuuwi.