Sicher haben sich viele Leute, die etwas Gutes für unsere Umwelt und ihren Schutz tun möchten, schon mal diese Frage gestellt. Und die meisten sind davon überzeugt, dass man mit dem Kauf der richtigen Dinge, mit kritischem Konsum, eine Menge bewegen kann. Wer das jedoch denkt liegt falsch. Zumindest ist das die Meinung von Jörg Bergstedt von der Projektwerkstatt Saasen. Seit Jahrzehnten lebt er bereits ausschließlich von Supermarktwaren aus dem Müllcontainer. Von unser Konsumgesellschaft und dem dahinterstehenden Kapitalismus hält er herzlich wenig. Das gibt er auch gleich in der Begrüßung vor seinem Vortrag diesen Mittwoch in der Umweltringvorlesung Nochmal kurz die Welt retten – Nachhaltiger Alltag II zu verstehen:
“Das wird ein schlechter Abend für alle, die glauben, durch Konsum die Welt retten zu können”.
Er beginnt seine Ausführungen mit einem Süßigkeiten-Beispiel: Auf der Verpackung der Guten Schokolade der Initiative Plant for the Planet findet sich der Spruch, “Stück für Stück die Welt retten”. Dieser Spruch steht stellvertretend für all das, was Konsum-Kritik sicher nicht kann: große Dinge bewegen. Im Laufe seines Vortrages desillusioniert Herr Bergstedt mit seinen Ansichten sicher einige Anwesende im Hörsaal, auch wenn er deutlich sagt, dass es sich eben nur um persönliche Ansichten handelt. Entscheidet selbst, wie sehr ihr euch von ihm überzeugen lassen wollt. Alternativen zum klassischen nachhaltigen Konsum bietet er jedenfalls an.
Das Wichtigste vorweg: Auch Jörg Bergstedt gesteht einem bewussten Konsumverhalten einen gewissen Einfluss auf Veränderung ein. Aber er ist eben viel geringer als gedacht und sehr unspezifisch, manchmal auch negativ. Die Risiken und Nebenwirkungen stehen auf keinem Blatt Papier, sind dafür aber zahlreich und überraschend. Das Schlimme: Auch kein Konsum ist keine Lösung. Denn so lässt man die Gesellschaft mit ihrem schwergewichtigen Problem allein. Aber wie denn dann? Die Antwort auf diese Frage muss ganz bis zum Ende warten. Zuerst demontiert unser Referent sehr drastisch und nachdrücklich Stück für Stück unser wohlgeformtes Bild der Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit durch bewussten Konsum.
Das Problem an der Konsumkritik
Grundproblem der Konsumkritik ist das, was sie mit uns KonsumentInnen macht: Sie gibt uns das Gefühl, mit unserer Nachfrage das Angebot beeinflussen zu können. Tatsächlich ist es jedoch anders herum: Die Produktionssphäre legt das Angebot fest und steuert damit die Nachfrage. Viele Bedürfnisse entwickelt man komischerweise erst, wenn es ein Produkt gibt, das sie bedient. Diese Macht-Illusion des kritischen Konsums stellt uns zufrieden und gibt den ProduzentInnen die Mittel in die Hand, weiterzumachen wie bisher. In ihrer Eigendynamik blendet Konsumkritik viele Problembereiche aus. In Deutschland ist der Kauf von Bio-Lebensmitteln etwas für Menschen mit verhältnismäßig viel Geld, denn die ökologisch produzierten Lebensmittel kosten oft wesentlich mehr als ihr konventionelles Pendant. Autos mit Umweltplaketten sind tendenziell neuere Modelle und oft teurer als alte, gebrauchte Autos ohne Zulassung für die Plakette. So wird laut Bergstedt eine ganze Bevölkerungsschicht kategorisch von der Fahrt mit dem Auto in die Innenstadt ausgeschlossen, weil sie sich die teuren, umweltfreundlichen Autos nicht leisten kann. Zugespitzt gesagt wird der Umweltschutz etwas für die Reichen unter uns. Dabei ergaben Untersuchungen des Umweltbundesamtes, dass der Konsum von Menschen mit besseren finanziellen Mitteln zu signifikant größeren Umweltschäden führen als der Konsum von ärmeren Menschen, da diese insgesamt weniger konsumieren (können).
In der Werbung sieht Bergstedt eine Quelle der Verfestigung traditioneller Geschlechterrollen: Es sind immer Frauen, die beim Einkaufen gezeigt werden, wenn es um Hinweise zu nachhaltigem Konsumverhalten geht. Das nötige Geld stammt noch immer von den Männern im Hintergrund. Bestimmte gesellschaftliche Probleme kann Konsum gar nicht beeinflussen: Krieg ist eine extreme Umweltbelastung, ebenso wie Automobilität. Beides lässt sich augenscheinlich kaum durch den Konsum eines fair und ökologisch produzierten Stückes Schokolade verhindern.
Zu Nebenwirkungen und Risiken
Jörg Bergstedt sagt, dass er den Aufstieg und Niedergang so mancher guter Idee zur Rettung von Natur und Umwelt gesehen hat. So wurden beispielsweise in den 70ern und 80er des letzten Jahrhunderts Foodcoops gegründet auf deren Basis Bioläden entstanden, die Mitglieder mit saisonalen und regionalen Lebensmitteln versorgten. Als die Branche wirtschaftlich wuchs, koppelten sich die Läden von ihren GründerInnen ab, da sie lukrative Verträge mit dem Großhandel nur unter der Bedingung erhielten, keine Lebensmittel mehr an die Foodcoops zu liefern. Es ist die Kommerzialisierung jeder einzelnen guten Idee zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Bergstedt im Laufe der Zeit immer wieder feststellen musste.
Und mit der Kommerzialisierung folgten weitere Missstände. Inzwischen betreiben auch ökologisch und nachhaltig wirtschaftende Betriebe Landgrabbing, Handelsstrecken sind durch die Aufnahme von „Kolonialwaren“ in das Sortiment extrem lang geworden und es wird kaum noch Wert auf Regionalität gelegt. Öko-Produkte sind oft noch weniger nachhaltig als konventionelle, weil sie oft in kleinen Mengen und mit unnötig vielen Plastikschichten versehen verpackt werden. Die Umweltbewegungen selbst sind ebenfalls von diesem Trend betroffen. Wo früher das Ehrenamt vorherrschte, gibt es heute oft bezahlte Stellen. Engagement und Werte gehen auf diese Weise verloren, Prioritäten werden anders gesetzt. Laut Bergstedt konzentrieren sich große Organisationen wie Campact nur noch auf Aktionen oder Themengebiete, die ihnen viele Spenden einbringen. Auch der Rebound-Effekt ist nicht zu unterschätzen. Dinge wie Leuchtmittel werden immer effektiver, verursachen weniger Kosten im Verbrauch und werden deshalb häufiger genutzt als vorher. Oder es werden Einsparungen in einer Konsumbereich durch Mehr-Konsum in anderen Bereichen wieder ausgeglichen.
Besser machen
Doch wohin mit den eigenen Bemühungen, wenn nicht in Konsum, wie uns die Produzenten vermitteln wollen? Glücklicherweise weiß unser Referent hierauf eine Antwort und erklärt im letzten Teil seines Vortrages, auf was es wirklich ankommt, wenn man gesellschaftlich etwas in Richtung Nachhaltigkeit bewegen will. Um die Kommerzialisierung zu verhindern oder wieder aus ihr auszubrechen, müssen wir als KonsumentInnen wieder Einfluss auf die Produktionssphäre erlangen, sie in unseren Besitz bringen. Das klingt recht marxistisch, bringt aber unweigerlich mehr Selbstbestimmung für ein nachhaltigeres Leben und wird bereits praktiziert. In einigen Städten liegt beispielsweise die Energieversorgung wieder in BürgerInnenhand und die Solidarischen Landwirtschaften (SoLaWi) leben erfolgreich Direktvermarktung vom Bauernhof zu den VerbraucherInnen. Letztes Jahr haben wir im Rahmen einer Exkursion eine solche SoLaWi, den Schellehof bei Pirna, besucht und bei der Ernte geholfen. Den entsprechenden Artikel findet ihr hier.
Neben verhältnismäßig passivem Konsum und Wählen sollten wir außerdem mehr auf direct actions setzen, wie Blockaden, Streiks oder Proteste. Und schließlich muss die soziale Frage in die ökologische Frage integriert werden. Wenn wir wollen, dass sich jede/r für Umweltschutz interessiert und ihn gutheißt, muss dieser unabhängig vom finanziellen Status möglich sein und sollte keine Gesellschaftsschichten ausschließen. Und wer trotzdem nicht die Finger von der Konsum-Kritik lassen möchte, sollte sich zumindest gut überlegen, wohin das Geld gesteckt wird. Nämlich nicht in die Blackbox Kapitalismus, sondern dorthin wo wirklich aktiv etwas für die Zukunft unseres Planeten getan wird.
Hier könnt ihr den vollständigen Vortrag von Jörg Bergstedt am 09.01.2019 anhören:
Teil 1:
Teil 2:
Text: Theresa Zakrzewski
Foto: Burhan Khawaja auf pixabay