Ein Kommentar von Vincent Hommel
Man kennt es – die ermüdende Tätigkeit, auch Studium genannt, ist verrichtet und als Erstes öffnet man daheim den Briefkasten, um den farbigen „Zellulosestapel“ auf den Armen so zu platzieren, sodass man die Tür aufschließen kann, um am Ende die Hälfte eh wieder wegzuwerfen.
Genau, die Rede ist von Werbung – dem überflüssigen Papiermüll. Ein anfallendes großangelegtes Abfallprodukt. Verpackungen, Zeitungen, Taschentücher, Klopapier usw. bestehen aus dem natürlichen Rohstoff Holz, besser gesagt dessen Fasern, wie Zell- und Holzstoff.
Auch Werbung, aber gute: Dieser Text entstand im Zuge des Moduls “reflektiert.engagiert”, welches im Wintersemester 2020/21 stattfand und von Studierenden verschiedener Fachbereiche gestaltet wurde. Das nach dem Service-Learning-Prinzip gestaltete Modul enstand aus einer Kooperation des Instituts für studium generale und der Tuuwi. Wir haben uns im Projekt “Starautor*in bei der Tuuwi werden” engagiert. Marlene sprach im ersten Beitrag dieses Projektes über Foodsharing, ich möchte euch in mehreren Teilen Grundlagen von Papier-/Werbungsmüll näher bringen.
Der Mensch kann wie ein pubertierendes Kleinkind sein, welches vor Gier seine eigene Zukunft nicht mehr vor Augen hat. Der Fortschritt unserer Welt und unser Verlangen (ver-)brauchen immer mehr Ressourcen, die aber kein unendliches Vorkommen bieten, so auch unser Holz. Die Menge an Rohstoffen, die wir zur Herstellung unserer gewünschten Produkte brauchen, hat sich seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt. Im Jahr 2017 verbrauchte jeder von uns durchschnittlich so viele Rohstoffe, wie 11 Autos wiegen. Länder mit hohem Einkommen, wie Deutschland, können ihren Rohstoffbedarf alleine meist nicht decken und beziehen daher viele Ressourcen aus anderen Ländern.
Also werden ganze Waldstriche abgeholzt, dadurch Lebensräume zerstört, die Bodenqualität verschlechtert und die Wasserversorgung gestört. Der Transport schadet zusätzlich der Umwelt und das gespeicherte CO2 in den Bäumen wird in verschiedenen Verfahren freigesetzt. Aber besonders die Speicherkapazitäten brauchen wir, denn Bäume sind die große Ressource, welche unsere schadstoffbelastete Luft entlasten. Spätestens als ein Mädchen, ich nenne sie mal anonym “Greta”, die Welt aufrüttelte und den “FridaysForFuture”-Protesten sollte es bei einigen klick gemacht haben – Probleme gab es ja vorher schon genug.
Schon seit 2002 gibt es in Deutschland eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie und seit 2015 die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) als Grundlage der Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung. Dennoch verstehen es gewisse Unternehmen nicht vermeidbaren Müllüberfluss einfach „zu Vermeiden“ #BuntSchmerzendeHochglanzProspekte.
Nicht nur die Abholzung schadet der Umwelt und dem Klima langfristig, auch die enthaltene Druckerfarbe in Werbeprospekten ist aus ökologischer Sicht durchaus problematisch, zumindest problematischer als der Schwarzweißdruck. Die Farbherstellung ist oft aufwendiger, die Pigmente – bestehend aus organisch-chemischen Verbindungen – werden mit Zusatzstoffen wie Harz, Binde- und Lösungsmittel, Erdölprodukte usw. versetzt, die von Hersteller zu Hersteller auch noch variieren. Wer schon einmal eine Druckerpatrone kaufen musste, weiß, dass es gefühlt für jedes Modell eine andere gibt, auch wenn die Farben in der Basis gleich sind. Durch die Zusätze wird der Recyclingsprozess erschwert, da im „Deinking-Verfahren“ die Farben herausgewaschen werden müssen, um eine Altpapiergewinnung zu erzielen. Je schwieriger das „Herauswaschen“, umso mehr Energie, Wasser und Hilfsstoffe werden benötigt. Ähnlich wie beim Duschen – je modriger du vom Unialltag zurückkommst, desto mehr Wasser und Produkte brauchst du, um wieder frisch zu sein. (Auch andere Einrichtungen, hallo TU, können nachhaltiger agieren. Man brauch nicht 3x die Arbeit per Mail schicken, um sie dann nochmal auszudrucken #mindblow)
Verkürzt dargestellt, also noch verkürzter als bisher, geht es nicht nur darum, was Papier und Werbung in ihren Facettenreichtümern bewirken, sondern auch, welche Verfahren und Produktionsketten mit hineinspielen, die ebenso Auswirkungen haben. Wenn sich die Produktion solcher viel zu viel im Umlauf befindenden Werbungsprospekte verringert, dann kann sich auch das Verhältnis auf viele andere Bereiche ausweiten, die nachhaltiger und umweltschonender wirken.
Ihr kennt das Spiel – andere leiden für den Konsum von anderen. Ja, „böser Fingerzeig“ auf uns alle usw., aber es ist wirklich so. Man mag es kaum glauben. Erklärt mich für verrückt, aber es ist schlimm, mehr als ungerecht und beeinflusst definitiv unsere Ökologie sowie unsere Zukunft. Umwelt und Nachhaltigkeit sind Themen, die zum Glück immer stärker in den Vordergrund von Politik und Handlungsweisen rücken. Daumen hoch hierfür. Aber „Sechs setzen“ dafür, dass oft erst negative Ereignisse passieren müssen, bevor auf eine wichtige Thematik reagiert wird.
Vielleicht ist die Lage auch noch nicht negativ genug. Ok, vielleicht haben auch manche Konzerne das Prinzip der „SDG’s“ einfach überlesen oder nicht vollends verstanden. Kann schon mal passieren, da 17 SDG’s nicht mehr an zwei Händen abzählbar sind. Aber gut, ein paar Jahre haben wir ja noch Zeit, wozu die Eile – Wunder passieren. Also warum veränderbare Prozesse umsetzen, die uns allen helfen – solange die Kuh noch Milch gibt, wird sie auch gerne mal von Politik und Wirtschaft gemolken. Auf der einen Seite Vorschläge predigen, bei denen es an konsequenter Umsetzung mangelt und auf der anderen Seite, sich am triefenden Euter eingefahrener Prozesse festsaugen. Guten Appetit in die Zukunft – Prost & Schulz!
Achtung Zahlen (nur für Mathegenies): Laut Berechnungen der Justus-Liebig-Universität Gießen werden jährlich ca. 1,3 Millionen Tonnen nicht adressierte Werbepost [identischer Stoß Werbung wird für alle eingeworfen] produziert, bedruckt, verteilt und anschließend entsorgt. Herstellung sowie Recycling verbrauchen ca. 1,6 Millionen Tonnen Holz, 46 Milliarden Liter Wasser und 17,6 Millionen Gigajoule Energie. Dazu kommen Tausende Tonnen Plastik, als Verpackung für so manche Reklame. Der kombinierte Papierverbrauch aus adressierter (richtet sich eindeutig an Sie, mit Name und Anschrift) und nicht adressierter Werbung entspricht ca. 9,5% des gesamten bundesweiten Papierverbrauchs.
Aber Hand aufs Herz – bunt ist halt schon auffälliger und ansprechender, wenn man sich was anschauen möchte – ich gebe es ja selber zu. So gerne wir auf den „Vintage-Zug“ aufsteigen, so out ist leider einfaches schwarz-weiß, wenn es um Medien geht. Wie sollte man sich sonst über das Kleid der Nachrichtensprecherin aufregen, sich eine neue Skinny-Jeans (alias Presswurstmodell) bestellen oder auf dem nächsten Lieferantenflyer seine Wunschpizza erkennen?! Es muss eben knallig und bunt sein.
Auch, wenn das digitale Zeitalter gepredigt wird und man bequem online so gut wie alles bekommen kann – manchmal möchte man einfach ein physikalisches Medium betrachten und fühlen. Dann wird „swipen“ zu umblättern, „abspeichern“ zu merken und „copy-paste“ zu aufschreiben mit Stift und Papier. Aber muss der Briefkasten oftmals so überquellen von Werbung? Also wirklich, ernstgemeinte Frage, denn ich traf selten jemanden, der von sich aus behauptet hat: „Hossa, wieder ´n Kilo Werbung, die gönne ich mir jetzt erstmal in der Wohnung entspannt mit einem Tässchen Kamillentee.“
Laut einer repräsentativen Umfrage der Online-Plattform YouGov erhalten 76% der Befragten ungern nicht-adressierte Werbepost. Bezogen auf 41 Millionen deutsche Privathaushalte sind das 31,4 Millionen Haushalte, die keine nicht-adressierte Werbepost erhalten möchten. Nach einer Statistik des ZMG Mediaservice verweigern 26,7% aller deutschen Haushalte nicht-adressierte Werbung, was 11 Millionen Privat-haushalten entspricht. Es tut mir irgendwo schon weh, wenn meine Hand im Postfach leicht das Papier streichelt, ich es mit hohen Erwartungen herausziehe, um es dann doch nur enttäuscht und schmollend in den nahestehenden Mülleimer zu verfrachten. Wohl gemerkt zwei große weiße Kübel nur für Werbung/Papier (die kennen ihre Mieter). Als ganz bewusste*r Student*in kann man bei uns auch die Seitentür öffnen und es direkt in die Altpapiertonne werfen – Jacke wie Hose.
Aber nicht nur die Analphabetisten einiger Werbeindustrien, auch wir als Konsumenten bestreiten in unserem Verhalten und wählen Wege, welche zu unterschiedlichen Konsequenzen führen. Doch wir können Knotenpunkte ansteuern, um unser Leben in verschiedensten Ausführungen anzupassen . Wir sind doch die „Elite“ von Morgen – schrecklicher Begriff, ich weiß, aber lassen wir den Ansatz dahinter nicht verkommen. Die größte langfristige Wirkung hat die Jugend. Kleine Schritte zum Ziel und in der Summe wird es ein riesen Sprung – gemeinsam.
Sich mit den Hausverwaltungen auseinandersetzten und für „Werbeverbots Aufkleber“ plädieren, ordnungsgemäß trennen, bei Aktionen von Umwelt und Klima mitwirken, die verfügbare Stimme einsetzen, Firmen in denen man tätig ist oder später arbeitet auf Alternativen aufmerksam machen usw.
Und wenn mich der Film „Der Lorax“ eines gelernt hat, dann, dass wir unsere Umwelt respektieren sollten, denn sie ist schützenswert. Niemand möchte Luft kaufen müssen, weil es keine Bäume mehr gibt.
Nicht ins Altpapier gehören übrigens:
- alle beschichteten Papiere, wie z.B. Milch- oder Saftkartons, gewachste Papiere oder Kohlepapier.
- gebrauchte Taschentücher, Küchenkrepp oder anderes mit Lebensmitteln verschmutztes Papier.
- zerknülltes Papier, da man nicht erkennen kann, ob es verunreinigt ist.
- kleingerissenes braunes Papier oder Karton. Die braune Farbe dieser Papiersorte stört beim „Deinking“. Geben Sie Kartons deshalb nur gefaltet ins Altpapier, da sie dann in der Sortieranlage besser aussortiert und getrennt vom restlichen Altpapier wiederverwertet werden können.
- Papier mit größeren Mengen Klebstoff. Der Klebstoff ist beim Recycling sehr störend.