Mit Foodsharing Lebensmittelverschwendung hautnah miterleben!

Beispiel einer Foodsharing-Abholung mit vielen makellosen und zum Teil noch haltbaren Produkten

Ein Text von Marlene Oesen

„Foodsharing“ gewinnt in Dresden vor allem unter Studierenden zunehmend an Beliebtheit. Ich bin seit über einem Jahr aktives Mitglied der offiziellen Initiative, die sich auf ehrenamtlicher Basis gegen Lebensmittelverschwendung engagiert.

Im abgelaufenen Wintersemester 2020/21 haben sich Studierende diverser Fachbereiche in verschiedenen Projekten im Rahmen des Moduls “reflektiert.engagiert” dem Namen getreu – reflektiert und engagiert. Das nach dem Service-Learning-Prinzip gestaltete Modul enstand aus einer Kooperation des Instituts für studium generale und der Tuuwi. Ich habe mich im Projekt “Starautor*in bei der Tuuwi werden” engagiert. In diesem Artikel teile ich meine bisherigen Erfahrungen mit dieser Form des „legalen Containerns“ und wie das Ganze eigentlich funktioniert. Hier geht’s zu Vincents Beitrag über die Papierindustrie.

Vor etwa zwei Jahren habe ich das erste Mal etwas von Foodsharing gehört. Damals hatte ich sofort ein Bild von einer Facebookgruppe im Kopf, wo sich wildfremde Menschen um trockene Brötchen und matschige Bananen streiten. Damit war das Thema für mich erstmal wieder erledigt.

Eines schönen Sommertages kam meine Öko-Schwester mal wieder von einer „Abholung“ nach Hause. Sie war beim Markt und schleppte Berge von Obst und Gemüse an, das von den Ständen nicht mehr verkauft wurde. Bis auf ein paar schimmlige Erdbeeren sah alles noch relativ frisch und appetitlich aus. Das Thema Lebensmittelverschwendung war zu dem Zeitpunkt nichts Neues für mich. Trotzdem war ich geschockt zu sehen, wie schnell ein Produkt auf dem Müll landen kann und wie viel letztendlich tatsächlich weggeschmissen wird. Gleichzeitig musste ich meine Meinung über Foodsharing wohl noch einmal überdenken.

Beim Erdbeernaschen wurde meine Schwester noch ein bisschen ausgefragt. Ich wollte wissen: Was hat es tatsächlich mit Foodsharing auf sich? Und wie kann das Ganze eigentlich gleichzeitig legal und kostenlos funktionieren?

Als Initiative gegen Lebensmittelverschwendung ist Foodsharing zunächst im Rahmen einer Onlineplattform entstanden. Den offiziellen Infos konnte ich entnehmen, dass das Unterfangen bereits 2012 ins Leben gerufen wurde und seitdem zu einer internationalen Bewegung gewachsen ist. Im Laufe der Jahre wurden mit mittlerweile über 3000 Betrieben Kooperationen eingegangen, die mit dem Handel oder der Verarbeitung von Lebensmittel zu tun haben. Diese Betriebe geben also regelmäßig überschüssiges Essen an die auf der Plattform registrierten „Foodsaver“ ab. In diesem Kontext ist immer wichtig zu betonen, dass Foodsharing lediglich als Ergänzung zur Tafel und ähnlichen Organisationen dient und keinen bedürftigen Menschen das Essen klaut. Viele Produkte darf die Tafel schon aus „hygienischen Gründen“ nicht annehmen, darunter zählt schon die komplette Kühlware. Immerhin sind „kleine Schönheitsfehler“ zum Beispiel bei Obst und Gemüse erlaubt. Die Produkte müssen ja trotzdem noch ein gewisses Maß an Attraktivität für den Käufer besitzen. An dieser Stelle greift Foodsharing und möchte den noch immer erschreckend großen Anteil an Lebensmittelmüll weiter reduzieren. Für die Lebensmittelvergiftung durch abgelaufene Produkte ist dann zum Glück jeder Foodsaver selbst verantwortlich.

Foodsaver kann übrigens jeder werden, dem das Thema Lebensmittelverschwendung am Herzen liegt.  Super, dachte ich mir. Los geht’s! Doch eine kleine Hürde gilt es bei der Anmeldung noch zu überwinden. Bevor es mit dem Retten losgehen kann, muss man sich nämlich noch durch einen beachtlichen Haufen an Informationen über allgemeine Foodsharinggrundsätze und Regeln durchackern. Dazu gehört neben der größtmöglichen Vermeidung von Lebensmittelmüll die ehrenamtliche, unentgeltliche Basis, die Unabhängigkeit von politischen Parteien und Konfessionen und die Garantie einer absoluten Verlässlichkeit und Qualität der Umsetzung. Es gibt sogar ein richtiges Foodsharing-Wiki, wo alle wichtigen Infos bis in kleinste Details beschrieben sind.

Das neu erworbene Wissen wird anschließend in einem Quiz geprüft. Puh! Ich hätte nicht gedacht, dass man beim Retten von Lebensmitteln so viel beachten muss. Natürlich übernimmt man aber an dieser Stelle eine verantwortungsvolle und ernstzunehmende Aufgabe! Die Sachen sollen natürlich effizient verwertet oder weiterverteilt werden. Und natürlich will man auch ein möglichst geordnetes und seriöses Bild an die Außenwelt und vor allem die kooperierenden Betriebe abgeben. Man weiß am Ende nie, mit welchen Lebensmitteln und vor allem mit welchen Mengen man nach einer Abholung nach Hause kommt.

Nach einem sauberen Zweitversuch konnte ich das Quiz schließlich auch abhaken und mich endlich der praktischen Umsetzung widmen. Nach drei erfolgreich absolvierten „Probeabholungen“, von denen ich Einiges an Lebensmitteln und kreativen Transporttipps mitnehmen durfte, war ich dann offizielles Mitglied und stolze Besitzerin eines Foodsharing-Ausweises. Dieser ist letztendlich aufgebaut wie ein Personalausweis, mal abgesehen davon, dass damit lediglich der Status als Lebensmittelretter*in legitimiert wird und man auf dem Passbild lächeln darf. Newcomer in der Foodsharing-Szene können auf den Probeabholungen erste Einblicke in den Ablauf der Abholungen sammeln und Kontakte zu anderen Foodsavern knüpfen. Man kann sich das ganze Prozedere als Arbeitseinweisung oder praktische Aufnahmeprüfung vorstellen. Und wenn man nicht jedes Mal eine halbe Stunde zu spät erscheint und genug Ikeataschen und Brotdosen zum Einpacken dabei hat, sollte man dabei keine großen Probleme haben.

Der Ablauf einer Abholung ist unspektakulär. Man trifft sich als geschlossene Gruppe von bis zu sechs Personen zu einer mit dem Betrieb festgelegten Zeit an Ort und Stelle, nimmt die Lebensmittel entgegen, packt sie zügig ein und teilt sie dann diskret an einem unauffälligen Ort in der Nähe gerecht unter den Abholenden aus. Das ist besonders für das Image eines Betriebes wichtig. Ein undefinierbares Wirrwarr aus Lebensmittelhäufchen, Taschen, Rucksäcken und gestikulierenden Menschen kann bei regulärer Kundschaft schnell Fragen aufwerfen. Nachdem alles aufgeteilt ist, geht jeder wieder seiner Wege.

Begeistert von meinen ersten erfolgreichen Rettungsaktionen habe ich mich anschließend für gefühlt jeden Betrieb in meiner Nähe zum Helfen angemeldet, der regelmäßig oder unregelmäßig Essensreste abgibt. Diese besitzen auf der Plattform jeweils eine eigene Gruppe mit Pinnwand, Terminkalender und Gruppenchat. Da kann man sich dann eben eintragen, wenn man dort hin und wieder Lebensmittel retten möchte. Bestenfalls sollte man bei der Auswahl die am nächsten gelegenen Betriebe anpeilen, um lange Transportwege zu vermeiden oder im Notfall bei einer Abholung mal schnell einspringen zu können. Für die Abholungen an sich werden sogenannte „Terminslots“ für eine bestimmte Anzahl an Foodsavern zur Verfügung gestellt, die zur vorgegebenen Zeit am Betrieb erscheinen. Es gibt dabei keinerlei Verpflichtungen. Jeder kann sich nach Lust und Laune eintragen, wodurch man immer wieder interessanten Konstellationen und den verschiedensten Menschen begegnet.

Erwartungsgemäß besteht der Großteil der Abholenden aus jungen Leuten, meist abgebrannten Studenten, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollen. Generell ist aber jede Generation vertreten. Öfter sind auch mal Eltern dabei, die ihre Kinder mit Kuchen vom Vortag erfreuen wollen oder auch ältere Leute mit spärlicher Rente, die gerne mal unter Leute kommen. Man trifft leider auch immer wieder Menschen, die eher egoistisch und habgierig auftreten, die meisten teilen jedoch ein grundlegendes Interesse an dem Nachhaltigkeitsgedanken und sind so zu Foodsharing gekommen. Fairerweise muss auch dazu gesagt werden, dass schlicht die Aussicht auf kostenloses Essen auch sehr verlockend sein kann.

Naiv und unerfahren wie ich war, bin ich in den ersten Wochen und Monaten alle paar Tage zu einer Abholung gerannt. Je nach Betrieb und Wochentag habe ich mich dann mit einem gefühlten Jahresvorrat an Laugenbrezeln oder Kopfsalat abgeschleppt oder vor Ort ausgeklügelt, wer in einer Gruppe von drei Leuten die zwei Packungen abgelaufener Milch mitnehmen darf. Mitunter geht man eben auch mit leeren Händen wieder nach Hause. So sollte es idealerweise auch sein! Mir ist dadurch auch früh klar geworden, dass man immer auf alles gefasst sein muss. Mit den Mengen teilweise maßlos überfordert, habe ich die Sachen oft erstmal notdürftig zuhause gebunkert und mich endlos lange mit kreativen Rezepten und Möglichkeiten zum Verwerten und Haltbarmachen von Lebensmitteln beschäftigt. Aber von meiner Schwester habe ich auch gelernt: Falls man irgendwann keine Erdbeeren mehr sehen kann und schon 50 Gläser Marmelade gekocht hat, kann man seine Reste beispielsweise auch öffentlichen „Fairteilern“ überlassen. Hier können sich dann wiederum andere Foodsaver bedienen. Es können Lebensmittel auch direkt über die Website als „Essenskörbe“ angeboten werden.

Foodsharing kann also mitunter sehr zeitaufwändig und stressig sein, denn man befindet sich stets in einem Wettlauf gegen das Verderben. Gleichzeitig lernt man so aber auch ganz anders mit Lebensmitteln umzugehen und vor allem die Grenzen derer Haltbarkeit zu testen. Ich probiere auf diese Weise auch ständig neue Dinge aus, die ich mir sonst eher nicht kaufen würde, was wiederum der Vielfältigkeit meiner Ernährung zu Gute kommt.

Foodsaver mit etwas Erfahrung haben zudem die Chance, zum „Betriebsverantwortlichen“ oder „Botschafter“ aufzusteigen. Die Betriebsverantwortlichen fungieren zum einen als Ansprechpartner für den jeweiligen Standort und sind außerdem für die Organisation der zugehörigen Gruppe verantwortlich. Dazu gehört zum Beispiel die Aufnahme neuer Foodsaver, das Anpassen der Abholzeiten oder das Ausräumen von Konfliktpunkten. Die Botschafter repräsentieren Foodsharing in ihrer Stadt oder Region und leiten hier die Organisation. Sie koordinieren wiederum die Betriebsverantwortlichen, oder organisieren allgemeine Treffen und Veranstaltungen.

Seit meinem Eintritt in die Welt von Foodsharing  ist nun über ein Jahr vergangen, in dem ich 2000kg Essen gerettet, tolle Persönlichkeiten bei den Abholungen kennengelernt und zahllose neue Rezepte ausprobiert habe. Sicher konnte ich auf diesem Wege meinen persönlichen CO2– Fußabdruck etwas aufpolieren und werde es in Zukunft auch weiter probieren. Erfreulicherweise kann Foodsharing auch in Zeiten von Corona und Lockdown stattfinden. Nichtsdestotrotz dienen die die Abholungen wie „normales Einkaufen“ auch laut sächsischer Corona-Schutz-Verordnung der Versorgung oder Gesundheitsfürsorge der Bevölkerung. Trotzdem gelten logischerweise auch hier die gerade aktuellen Regeln zur Sicherung des Mindestabstandes und zum Tragen der üblichen Mund-Nase-Bedeckung.

Bei allem Lob sollte aber trotzdem nicht vergessen werden, dass das Hauptproblem der Lebensmittelverschwendung immernoch bei den Haushalten liegt, die sogar mehr als doppelt so entsorgungsfreudig sind wie der Groß- und Einzelhandel. Man sollte zuerst immer schauen, was man im persönlichen Alltag noch verbessern kann. Und für das private Teilen und Verschenken von Lebensmitteln braucht man definitiv keinen Foodsharing-Ausweis.

Wer nun trotzdem in meine Fußstapfen treten und auch bei Foodsharing aktiv werden möchte, der möge folgende Anweisungen befolgen:

„How to become a Foodsaver“/ „Foodsaver werden für Dummies“:

1.) Webseite besuchen! Unter dem Link https://foodsharing.de/ die offizielle Foodsharing-Webseite besuchen und „Machmit!“ Button betätigen

2.) Foodsharingprofil anlegen! Persönliche Daten eintragen und nettes Profilbild hochladen

3.) Das Quiz für Foodsaver bestehen! Dafür idealerweise die zur Verfügung gestellten Grundlagen durchlesen und verstehen

4.) Rechtsvereinbarung zustimmen! Immer schön an die Regeln halten!

5.) Mindestens drei Einführungsabholungen mit erfahrenen Foodsavern durchführen! Los geht’s mit dem praktischen Part

6.) Verifizierung der Daten und Freischalten des Profils abwarten! Immer schön geduldig bleiben, bei Foodsharing gibt es immer viel zu tun

7.) Foodsaver- Ausweis abholen! Und Durchstarten…

Let’s go!