Bis auf’s letzte Hemd

Am 26. und 27. April fanden bei uns wieder einmal Projekttage statt, diesmal zum Thema Kleidung. Seit Beginn unserer Vorlesungsreihe „Nachhaltiger Alltag“ geisterte das Thema in unseren Köpfen herum, war aber zu groß, um im Rahmen einer neunzigminütigen Vorlesung mehr als nur an der Oberfläche angekratzt zu werden. Kleidung ist alltäglich und allgegenwärtig. Wir tragen sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der wir essen und trinken; meist ohne mehr als einen flüchtigen Gedanken daran zu verschwenden, wie sie ins Ladenregal gekommen sind. Dass in der Textilbranche Mensch und Umwelt ausgebeutet werden, ist kein Geheimnis. Trotzdem kaufen Menschen in Deutschland durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke im Jahr, während gleichzeitig die Tragedauer stetig abnimmt.[1] Wie kann es zu einer solchen Diskrepanz zwischen unserem Konsumverhalten und dem Wissen zu den Herstellungsprozessen unserer Kleidung kommen?

Ziel der Projekttage war es, sich einmal ein Wochenende lang intensiv mit Fragen zu beschäftigen, für die im Alltag meistens keine Zeit bleibt. Wo kommt all die Kleidung her? Welchen Textillabeln kann ich vertrauen? Und welche Alternativen haben wir eigentlich?

Freitag: Was ist los in der Textilindustrie?

Eine Alternative zeigten wir gleich am Anfang auf. Ein großer Kleidertausch im Hörsaalzentrum bildete den Auftakt zu den Projekttagen. Dort konnten alle Menschen alte, aber noch gute Kleidung loswerden und sich auch gleich nach passendem Ersatz umsehen – kostenlos natürlich, ein Gewinn für alle Beteiligten. Während auf der einen Seite munter Kleidung begutachtet, probiert und herumgealbert wurde, veranstalteten die Hochschulpiraten im gleichen Raum ein Repair-Café.

Am Abend begann dann der fachliche Teil der Projekttage. Vivien Tauchmann vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen stellte die Clean Clothes Campaign vor und sprach über das Rana Plaza-Unglück vom 24. April 2013, bei welchem 1.134 Textilarbeiter*innen in Bangladesch bei einem Gebäudeeinsturz ums Leben kamen. Und auch im Jahr 2019 ist Ausbeutung in der Textilbranche ein profitables Geschäft. So hatte H&M eigentlich angekündigt, seinen rund 850.000 Beschäftigten bis Ende 2018 existenzsichernde Löhne zu zahlen. Die Kampagne #TurnAroundH&M macht nun darauf aufmerksam, dass der Konzern sein Versprechen bislang nicht wahr gemacht hat.[2]
Eine gänzlich andere Perspektive brachte Frau Dr. Lisa Koep ein, welche an der Professur für BWL an der TU Dresden arbeitet und sich auf Nachhaltigkeitsmanagement und betriebliche Umweltökonomie spezialisiert hat. In ihrem Vortrag sprach sie über die Schwierigkeiten im Lieferkettenmanagement und bei der Kontrolle vom Umweltstandards.
Zum Abschluss des Abends stellte Linda Kolata von Greenpeace Dresden schließlich die Detox-Kampagne vor, welche sich gegen gesundheitsgefährdende Chemikalien in Kleidung sowie den Einsatz und die Entsorgung von Umweltgiften bei der Textilherstellung richtet. Greenpeace will damit einerseits die Konzerne verpflichten, ihre Produktionsketten fair und umweltfreundlich zu gestalten, und andererseits mehr Transparenz für die Verbrauchenden schaffen.[3]

Samstag: Der Umgang mit unserer Kleidung

Am Samstag fanden dann in kleinerer Runde die Workshops statt. Zunächst einmal wurde sich mit der Frage beschäftigt, was eigentlich mit gespendeter Kleidung passiert und ob es unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten überhaupt sinnvoll ist, Kleidung im Spendencontainer zu entsorgen. Dabei traten teils erschreckende Geschichten zu Tage. Nicht nur, dass gespendete Kleidung zu großen Teilen von EU-Ländern aufgekauft und von dort nach dem jeweiligen Zustand gestaffelt in entlegenere Weltregionen exportiert wird, wo die billigere Konkurrenz die lokale Textilverarbeitung vom Markt verdrängt. Es werden sogar erneut in Mode gekommene Kleidungsstücke aussortiert und wieder in die Spendenländer reimportiert, um sie dort zu verkaufen.[4]

Im zweiten Workshop-Teil setzten wir uns dann einmal intensiv mit drei beispielhaft ausgewählten Kleidungsstücken auseinander und versuchten, deren Produktionsweg zurückzuverfolgen. So ein T-shirt kommt ganz schön herum auf unserem Planeten. 36% des Mikroplastiks in den Meeren stammt aus der Textilindustrie, wiederum 49% der global produzierten Kleidung besteht aus Chemiefaser. Eine Jeans wird im Schnitt gerade einmal zwei Jahre lang getragen.

All das ließ uns ein wenig ratlos zurück. Müssen wir als Verbrauchende wirklich jedem einzelnen Kleidungsstück hinterherrecherchieren, und uns über existenzsichernde Löhne, Umweltgifte, Ressourcen, Lieferketten und Textilverarbeitung belesen, um nicht dem Greenwashing eines Bekleidungskonzerns auf den Leim zu gehen? Textillabel gibt es wie Sand am Meer, aber welchen davon ist zu trauen?
Einige, wie z.B. das OEKO-TEX-Standardlabel haben mit Umweltschutz gar nichts zu tun. Sie kennzeichnen nur die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Produkts, wobei der Name mehr als irreführend sein kann. Die FAIR WEAR-Foundation wiederum hat sehr hohe soziale Standards, kümmert sich aber weniger um ökologische Kriterien, während es sich bei blueSign genau umgekehrt verhält. Das Fairtrade-Label hingegen berücksichtigt sowohl ökologische als auch soziale Aspekte.[5]

Fazit

Was wir bei alldem aber nicht vergessen sollten, ist die Suffizienz. Denn Textillabel und mehr oder minder bindende Versprechen von um ihr Image bemühten Konzernen erzeugen auch immer eine Illusion von Kontrolle, die wir als Verbraucher*innen nicht haben. Das Ende der Massenproduktion von Textilien ist ohne Selbstbeschränkung nicht zu erreichen. Indem wir Kleidung zum Beispiel seltener waschen (eine Jeans sollte nicht häufiger als alle zwei Wochen gewaschen werden), nutzt sie langsamer ab. Reparieren stellt immer noch eine weitaus bessere Option dar, als wegwerfen. Kleidung, die nicht mehr passt oder gefällt, kann bei einem Kleidertausch verschenkt werden. Allein die Tragedauer eines Kleidungsstücks bis auf ein Maximum auszureizen, sollte selbstverständlich sein. Und wie viel Kleidung benötigt ein Mensch überhaupt? 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr – das bedeutet auf lange Sicht entweder einen expandierenden Kleiderschrank oder 60 weggeworfene Altkleider. Ein Luxus, den wir uns nur leisten können, wenn andere Menschen dafür ausgebeutet werden. Aber Verzicht ist keineswegs so negativ, wie viele gerne glauben. Dass Konsum allein nicht glücklich macht, sollten wir inzwischen gemerkt haben – und unser Handeln daran anpassen. Dann wird unsere Kleidung am Ende auch wieder die Wertschätzung gewinnen, die sie verdient.

Text: Dennis Biba
Foto: Pexels auf Pixabay

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[1] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/s01951_greenpeace_report_konsumkollaps_fast_fashion.pdf
[2] https://saubere-kleidung.de/turnaroundhm/
[3] https://www.greenpeace.de/kampagnen/detox
[4] Hansen, Karen (2004): Helping or Hindering? Controversies around the international second-hand clothing trade. In: Anthropology Today. Vol 20/4. August 2004.
–>Richter, Sabine: Nutzen von Kleiderspenden. Was Altkleider aus Deutschland für Afrika bedeuten. In: Die Wohnungswirtschaft September 2015.
[5] https://www.publiceye.ch/de/themen/mode/labels-und-standards