Wald statt Kies – ein Interview mit einer der Akteur*innen der Bürgerintitiative “Contra Kiesabbau” Würschnitz

Ein von der Bürgerinitiative geschmückter Bagger, der bei der Schaffung der Schneise zum Einsatz kam

UPDATE: Im August 2021 wurde der Wald neben der Kiesgrube Ottendorf-Okrilla besetzt. Die Besetzung mit dem Namen “Heibo bleibt” (Heidebogen bleibt) teilt die Ziele der BürgerInneninitative und errichtet Baumhäuser, um auf den Mißstand der Tagebauerweiterung aufmerksam zu machen.

 

Artikel von November 2020:

Viele fahren in den Sommermonaten zum Baden an die Seen in Ottendorf-Okrilla, 20 Kilometer nördlich von Dresden. Genau dort rollen seit Oktober die Bäume. Für die Errichtung eines neues Förderbandes als Erweiterung des Tagebaus der Kieswerk Ottendorf-Okrilla GmbH wurde eine tiefe Schneise in den Wald geschlagen. Dabei bleibt es leider nicht, in den nächsten Jahren soll noch mehr Wald für die Grube weichen. Dafür gibt es zwar  Genehmigungen, an diesen wird jedoch aus Naturschutz-Sicht ernsthaft gezweifelt, insbesondere durch die Bürgerinitiative Würschnitz. Die Bürger*innen von Würschnitz, ein Dorf, welches in nächster Nähe zum Tagebau liegt, haben sich schon vor geraumer Zeit zusammengetan, um die Rodung aufzuhalten. Was unser Reporter Karlsson bei einem öffentlichen Sonntagsspaziergang mit der Bürgerinitiative Würschnitz zur Besichtigung der Schneise Anfang des Monats erlebt hat, erfahrt ihr hier. Wir haben außerdem Marta getroffen. Sie ist seit früher Jugend Aktivistin und trotz Arbeit und Elternschaft hat sie den Aktivismus nie den Rücken gekehrt. Sie hat die Dresdner Ortsgruppe der Parents for Future mit aufgebaut und erst kürzlich das Bürgerinitiative-Netzwerk Dresden (kurz BIND) gegründet. Zudem ist sie Teil der Bürgerinitiative Würschnitz. Wir haben mit ihr über die aktuelle Situation im Wald bei Ottendorf-Okrilla gesprochen. Zum Schutz ihres privaten Umfeldes möchte Marta nicht mit ihrem Klarnamen genannt werden.

Hallo Marta, was passiert gerade im Wald bei Ottendorf-Okrilla?

Im April 2020 wurde die Abholzung für eine Schneise zwischen zwei Kieswerken vom NABU und der BI Würschnitz verhindert. Es wäre illegal, während der Brutzeit zu roden, deshalb war im Sommer Ruhe. Nun wurden nach der Brutzeit Tatsachen geschaffen und die Bäume für eine Bandstraße abgeholzt.

Was wirft die Bürgerinitiative Würschnitz dem Kieswerk Ottendorf-Okrilla konkret vor?

Diese Liste ist  sehr lang…ganz aktuell zerstört das durch den Sachsenforst beauftragte Unternehmen den direkten Zufluss zu den Mooren im Naturschutzgebiet. Der Pechfluss wird befahren, mit Holzresten gefüllt und somit – aus Nichtwissen, Unachtsamkeit oder auch absichtlich – den Mooren die Grundlage, das Wasser entzogen. Die Erweiterung des Kiestagebaus Würschnitz 1 wurde ohne Naturschutz-Gutachten genehmigt. Es muss eine Neubetrachtung des Gebietes erfolgen.

Was ebenfalls fassungslos macht: Das Auskiesen beziehungsweise der Verkauf des Kieses allein ist nicht gewinnbringend. In Verbindung mit der Wiederverfüllung mit Füllmaterialien, also mit Bauschutt, aber auch mit standortfremdem Bodenaushub, ist es allerdings ein lukratives Geschäft. Unter dem Gebiet liegt jedoch ein großer Grundwasserkörper. Durch Verkippung in einer bereits verfüllten Kiesgrube treten erhöhte Nitrat-Werte auf. Das ist eine Gefährdung der Moore und das Grundwassers.

Zuletzt wurde die Rodung der Schneise für die Bandstraße vorangetrieben, da der Betriebsplan am 31.12.2020 endet und ab dem 01.01.2021 neue Gutachten und Nachweise erbracht werden müssen. Es sollen „Tatsachen“ geschaffen werden, um den neuen Plan ab nächsten Jahr problemlos genehmigt zu bekommen, es werden Aussagen getroffen, um die Brisanz herunterzuschrauben. So sagte [in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vom 09.10., Anm. d. Red.] der Geschäftsführer des Kieswerks, Thomas Gruschka: „Ich brauchte ihn [den Kies] für das Fundament meines Hauses und kürzlich erst einen betonierten Parkplatz …, öffentliche Gebäude fahre über Brücken, so wie die meisten von uns“. Aber: Der Kiesabbau hängt um 12 Jahre zurück. Ist der Kies doch nicht so bedeutungsvoll wie uns Herr Gruschka glauben machen möchte? Es werden offensichtlich Unwahrheiten verbreitet. Gruschka möchte als Naturmensch wahrgenommen werden, der sich an Regeln hält. In den Medien spricht er davon, das er 1 Meter über dem Grundwasserspiegel bleibt [im MDR-Sachsenspiegel am 16.10., Anm. d. Red.]. Allerdings steht im Rahmenbetriebsplan vom 15.08.1997 unter Punkt 2.1 – das der Abbau bis max. 2 m über dem Grundwasserspiegel zu erfolgen hat. Was passiert da? Baut er 1 Meter zu viel ab oder kennt er nur den Rahmenbetriebsplan nicht?

Wie lang ist die Erweiterung des Tagebaus und die Errichtung des Förderbandes denn schon bekannt?

Das ist schon seit 1997, mit Antrag auf Zulassung des fakultativen Rahmenplanes bekannt.

Mittlerweile machen ja einige Umweltverbände auf die Missstände aufmerksam. Welche Akteure gibt es vor Ort?

Durch den Aufruf der Bürgerinitiative Anfang Oktober sind es Privatpersonen, aber auch Initiativen wie die Fridays for Future, Parents for Future, BinDD, Greenpeace, Ende Gelände, BUND Meißen, der Nabu und jetzt auch die TUUWI. Ich habe sicher einige vergessen…

Letztlich wird der Protest ja aber von der Bürgerintitiative angeführt. Was sind eure konkreten Forderungen?

Sie fordert, dass neue Gutachten und Nachweise erbracht werden – unter Berücksichtigung des Naturschutzes und des Klimawandels, die dem heutigen Stand entsprechen. Beispielsweise gilt zu beachten, dass sich Flora und Fauna in den letzten 20 Jahren immens verändert haben. Grundlegender müsste auch das Bergrecht auf den neusten Stand hin geändert und verankert werden.

Was wir vor allem vom Sachsenforst fordern, welcher die Wälder, die weichen müssen, verwaltet: Die Aufforstung an anderer Stelle muss naturgemäß und nicht konventionell möglich sein, momentan ist das bei Weitem nicht der Fall. Wir brauchen eine naturgemäße, nicht ausschließlich kommerzielle Waldwirtschaft, auch der Sachsenforst muss die Zeichen der Zeit erkennen. Um das zu gewährleisten, sollten deutlich mehr Experten und Wissenschaftler in die Planung und Bewirtschaftung einbezogen werden.

Wie ist die Stimmung in Würschnitz und in den umgebenden Dörfern? Haben die Leute eine starke Meinung bezüglich der Problematik?

In Würschnitz ist es ein sehr präsentes Thema, denn die Bürger*innen sind direkt betroffen. Die Stimmung hat sich seit Oktober verbessert, durch die Aufmerksamkeit fühlen sich gehört und ernst genommen. Was die meisten nicht wissen: Die Bürgerinitiative existiert bereits seit 15 Jahren und sie haben sich immenses Wissen angeeignet. Dadurch sind sie in der Lage, konkrete Zusammenhänge und Nachteile zu sehen. Das macht wütend und kämpferisch. Dem angrenzenden Ortschaften ist das Thema dagegen nicht oder wenig wichtig.

Was denkst du: Warum schenken die Medien und die Öffentlichkeit in Zeiten der Blockaden im Hambacher und Dannenröder Wald der Problematik vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit?

Ich hoffe, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich glaube, wir leben in und um Dresden. Das scheint ein Problem zu sein. Es wird verschwiegen oder schöngeredet. Probleme werden weniger akut wahrgenommen, in der aktuellen Politik ist das ja auch sehr gut sichtbar. Solange die Leute nicht persönlich betroffen sind, wird es leider weit weggeschoben. Was ich aber auch glaube: Gäbe es die Aktionen im Danni und Hambi durch Ende Gelände, Greenpeace und die For-Future-Gruppen nicht, hätte das Thema vermutlich noch weniger Aufmerksamkeit. Die massive Mobilisierung und das Bewusstsein dort hilft uns jetzt auch ungemein hier.

So fragwürdig die Aussagen von Thomas Gruschka erscheinen, so möchte ich trotzdem nochmal über die mögliche Notwendigkeit des Kies reden, damit können wir vermutlich auch Missverständnisse und Vorbehalte aus dem Weg räumen. Kies benötigt man für Beton, ein essentieller Baustoff. Auch in Dresden wird viel gebaut, die Uni soll bis zum 200-jährigen Jubiläum grundlegend saniert und aufgewertet werden. Wo soll der Kies stattdessen herkommen, welche Alternativen haben wir? Wird initiativenintern über solche Dinge debattiert?

Es stimmt natürlich, dass Kies zum Bauen benötigt wird. Es ist nicht so, dass es generell abgelehnt wird. Aber die Alternativen existieren natürlich: Laußnitz 1 ist noch nicht fertig ausgekiest, da gibt es noch einige Ressourcen. Außerdem gibt genügend Kiesflächen unter Äckern in der Umgebung von Ottendorf-Okrilla, man muss dafür keine Bäume fällen. Aber wir müssen auch über Alternativen zum Kies selbst reden: Recyceltes Baumaterial für die Neuerrichtung von Häusern zu verwenden, beispielsweise. Diese Materialen gibt es heute schon in hoher Qualität von sächsischen Unternehmen.

Geht es dir persönlich speziell um den Schutz des Naturschutzgebietes, die Sorge um den Grundwasserspiegel oder prinzipiell um die anhaltende Zerstörung und Missachtung von Naturräumen aufgrund der Priorisierung von wirtschaftlichen und industriellen Interessen?

Ich denke nicht, dass das getrennt werden kann. Dieses eine Gebiet zu schützen, bringt uns ganzheitlich nicht weiter. Eine prinzipielle Neubetrachtung, angefangen bei unserem Mikrokosmos ist wichtig. Gemeinwohl und der Schutz von Naturräumen muss vor dem Profit stehen!

Zum Abschluss: Was wünschst du dir für die kommenden Monate?

Dass wir es schaffen den weiteren, geplanten Ausbau in der Laußnitzer Heide zu verhindern und die Firmen dazu bringen, mit der Natur anstatt gegen sie zu arbeiten. Ich wünsche mir, dass der Mensch anfängt, sein direktes Umfeld mit anderen Augen zu betrachten. Natur nicht als Ware oder Bespaßungsort zu sehen, sondern sie mit Respekt und vielleicht mit ein wenig Demut zu behandeln. An dieser Stelle, fällt mir ein, habe ich auch noch eine Botschaft an eure Leser…

…die wäre?

…bezüglich Bespaßungsort, einige gehen ja sicherlich oft in den Seen des Kiestagebaus bei Ottendorf-Okrilla baden. Ich habe vorhin schon mal die hohen Nitrat-Werte angesprochen. Geht nicht in Ottendorf-Okrilla baden, es ist gesundheitlich gefährlich! In der Kiesgrube steigt der Nitratwert durch das Auswaschen des Bauschuttes. Es ist nicht bekannt, welche Stoffe noch in das Wasser sickern, die Tagebausohle muss nicht abgedichtet werden. Wir können nicht ausschließen, dass gesundheitsgefährdende Stoffe in die Kiesgruben somit das Grundwasser gelangen. Als letztes möchte ich sagen: Mir liegt es am Herzen, mit Menschen ins Gespräch kommen und sie inspirieren, mit Freude etwas für die Umwelt/ das Klima zu tun. Ich hoffe, das konnte ich an dieser Stelle ein wenig.

Marta, wir danken dir vielmals, dass du dir die Zeit genommen hast!

Danke für deine Fragen!

Wer dabei sein möchte, Ideen hat oder schon Aktionen geplant und umgesetzt hat und Marta und die Anderen unterstützen möchte… über den Info-Channel bei Telegram #waldstattkies, den Diskussions-Channel Wald statt Kies, Mails an post@BinDD.de oder direkt an die Bürgerinitiative Würschnitz – bi.wuerschnitz@gmail.com