Gewalt und Gewissen – Ein Kommentar zu den Polizeieinsätzen im Dannenröder Wald

Polizeieinsatz im Dannenröder Wald

Aufgeschrieben von Karlsson

Über einen Monat ist es mittlerweile her, dass ich über den Dannenröder Wald geschrieben habe, jenen 300 Jahre alten Mischwald in Hessen, Trinkwasserschutzgebiet, Lebensraum und grüne Lunge, den der Bau der A49 unwiederbringlich in zwei Stücke reißen wird. Und das alles für eine Verkehrspolitik, die im Jahre 2020 ihre eigene Kurzsichtigkeit in vormals lebendigen Waldboden zementieren will.  

Ich bin es leid, die immer gleichen Argumente zu wiederholen, Argumente, die den einen nichts Neues erzählen und von den anderen mit fast schon bewundernswerter Ignoranz marginalisiert werden.[1] Am Ende ist die Rodung eine Gewissensfrage und so ein Gewissen ist eine mitunter schmerzhafte Sache.

Im vergangenen Monat ist vieles geschehen. Musste ich bei meinem letzten Artikel noch darauf hinweisen, dass nicht einer, sondern drei Wälder von der Rodung bedroht sind, so sind derlei Spitzfindigkeiten nun Geschichte. Entlang der Autobahntrasse wurden der Mauli und der Herri bereits gerodet und die Barrios geräumt.[2] Nun verlagern sich die Räumarbeiten in den Danni, wo die aktivistischen Strukturen am stärksten sind. Räumarbeit, ja das hat einen Beigeschmack von Anständigkeit, dieses dezent euphemistische Wortkompositum aus (Auf-)Räumen und Arbeit. Das genaue Gegenteil ist der Fall, handelt es sich doch um eine ausgesprochen destruktive Arbeit, welcher Bundespolizei und DEGES [3] da nachgehen. 

Die Presse hat es nicht leicht, umfassend von den Geschehnissen zu berichten. Das liegt einerseits an der Größe der betroffenen Gebiete und anderseits an dem Umstand, dass Journalist:innen immer seltener bis in den Wald durchgelassen werden. Eine reine Vorsichtsmaßnahme der Polizei natürlich, um die Presseleute nicht unnötigen Gefahren auszusetzen. Dabei ist die Polizei längst selbst erheblichen Gefahren ausgesetzt und nein: Diese droht ihr nicht von den vereinzelten Aktivist:innen, die oben in den Bäumen sitzen und (schenkt man einigen Stimmen Glauben) tonnenweise Steine und Pyrotechnik im Geäst horten, sondern von den Bäumen selbst. Denn die Fällungen werden mittlerweile in unmittelbarer Nähe von Aktivistis und Polizei durchgeführt, obwohl sich das leicht vermeiden ließe. Um schnell mit der Rodung voranzukommen, werden Sicherheitsabstände immer häufiger nicht eingehalten.
 

Statt, wie sie es selbst auf allen Kanälen verkündet, „Sicherheit vor Geschwindigkeit“ zu priorisieren, geht die Polizei mit zunehmender Brutalität gegen die Besetzer*innen vor. Nachdem sie sich schon bei früheren Räumungen grobe Fahrlässigkeit vorwerfen lassen musste, kam es in der vergangenen Woche gehäuft zu Zwischenfällen, bei denen Fahrlässigkeit noch der harmloseste Vorwurf ist, Mutwillen trifft es wohl besser und manche sprechen sogar von Terror.

 

Am 14.11.2020 kappte die Polizei ein Sicherungsseil an einem Monopod, auf dem sich ein Mensch aufhielt, und der dadurch in gefährliche Schieflage geriet. Nur eine zusätzliche Sicherung, welche die Polizei von unten nicht sehen konnte, bewahrte die Person vor einem mehrere Meter tiefen Absturz. Am darauffolgenden Tag kappten Einsatzkräfte eine Traverse, die einen Mensch in einem Tripod sicherte.[4] Er stürzte fünf Meter zu Boden und liegt inzwischen mit zwei Wirbelbrüchen im Krankenhaus. Nachdem die Polizei zunächst keine Sanitäter:innen zu der verletzten Person durchließ, stritt sie zudem sogar noch ab, etwas mit dem Unfall zu tun zu haben. Später wurde diese Aussage aufgrund der eindeutigen Beweislage dementiert.

 

Die Aktivistin Luise Stark äußert sich dazu in einer Pressemitteilung des Aktionsbündnisses „Wald statt Asphalt“: „Wir wissen, dass sich Aktivist:innen in eine gefährliche Situation begeben, wenn sie Tripods besetzen. Aus diesem Grund ist jeder Tripod mit einem Schild ausgestattet, auf dem die Funktionsweise von Tripods erklärt wird. Im ganzen Wald befinden sich mindestens 100 solcher Schilder. Diese muss die Polizei bei ihren zahlreichen Streifzügen durch den Wald gesehen haben. Zudem riefen zahlreiche Umstehende den Einsatzkräften zu, dass sie eine Person gefährden würden. Von wegen ‚Sicherheit vor Geschwindigkeit‘: Die Polizei wusste genau, was sie tut, als sie dieses Seil durchschnitten haben!“[5]

„Nur durch Glück kam es zu keinen noch größeren Tragödien“, schreibt das Aktionsbündnis einen Tag später in einer weiteren Pressemitteilung.[6]  
Aber wie lange noch wird dieses Glück anhalten? Wenn der „Bewegungsgärtner“, der auf Youtube und Twitter die Räumung des Dannis begleitet, prophezeit „wenn der Einsatz so weitergeht, wird jemand sterben“[7], bezieht er sich damit natürlich auch auf Steffen Meyn, der 2018 im Hambacher Wald tödlich verunglückte.[8] Wie lange wird es also dauern, bis auch im Danni jemand stirbt?
 

Bei all diesen abschreckenden Beispielen muss man sich notgedrungen die Frage stellen, ob hier ein Exempel statuiert werden soll. Wenn die Polizei mutwillig die Verletzung von friedlichen Menschen in Kauf nimmt, ganze Reisebusse anhält, die Insassen durchsucht, bedroht und in die Gefangenensammelstelle verfrachtet[9], dann auch, um zu verhindern, dass noch mehr Aktivist:innen in den Wald kommen.

Was auf der einen Seite Menschen abschreckt, die Besetzung im Danni zu unterstützen, bringt auf der anderen Seite eine Radikalisierung derjenigen mit sich, die bereits vor Ort sind – eine Entwicklung, die eine Kluft zwischen gemäßigten und radikalen Widerstand zu reißen droht und damit den Befürworter:innen der Autobahn in die Hände spielt, lassen sich einige radikale Einzelpersonen doch so viel leichter als „Terroristen“ diffamieren als das breite Bündnis, das sich bislang für den Erhalt des Waldes einsetzt. Eine Entwicklung, der sich nur entgegenwirken lässt, wenn die Menschen nicht zulassen, dass der Kampf der Waldbesetzer:innen der Kampf einer Minderheit wird.

Noch stehen zahlreiche Barrios im Danni, noch gibt es weite Teile Wald zu schützen. Die Mahnwachen existieren nach wie vor und bieten Möglichkeiten zur Übernachtung und Essensversorgung. Sogar ein „Wald-statt-Asphalt-Campus“ wurde in Dannenrod geschaffen – ein trockener Ort mit Strom und WLAN, welchen Menschen aufsuchen können, die ans Homeoffice gebunden sind und sich dennoch an Aktionen beteiligen wollen. Die Anwohner:innen unterstützen die Aktivistis ebenfalls nach Kräften, nicht wenige schon seit anderthalb Jahren. Wenn der Bau der Autobahn durchgesetzt wird, werden sie es sein, die mit den Folgen leben müssen. Dann wird die Polizei längst von dort verschwunden sein und in irgendeinem anderen Wald aufmarschieren, sei es für eine weitere Autobahn, für Kies oder für Kohle.

Wie war das noch gleich mit dem Gewissen? Eine mitunter schmerzhafte Sache. Und ein Privileg, mit dem viele nicht umzugehen gelernt haben. Das Tragen einer Uniform befreit niemanden davor, sich über die Ethik der eigenen Handlungen Gedanken zu machen.

 
 
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 Bildquellen:
 

Textquellen:

[1]Für diejenigen, die dennoch darauf bestehen, lässt sich auf folgende Seite verweisen: https://waldstattasphalt.blackblogs.org/besetzung-warum/
[2]Eine interaktive Karte zeigt die Lage der geräumten und noch existenten Barrios sowie der geplanten Autobahn: https://wald-statt-asphalt.net/de/karte/
[3]Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH
[4]Twitter. Dannenröder Waldbesetzung: https://twitter.com/keinea49/status/1328319177946443777
[7]Report des Bewegungsgärtners #47: https://www.youtube.com/watch?v=rDMJIx0jz44
[9]Report des Bewegungsgärtners #49: https://www.youtube.com/watch?v=cMdQPp3OmT4