Klimakrise und Rassismus – Zwei Probleme, eine Ursache, viele Lösungen

Ein Text von Natalia Fomina

Vor einem halben Jahr sind wir in diesem Blog bereits auf die Verknüpfung von Rassismus und Umwelschutz nach der Ermordung George Floyds eingegangen. Doch es ist von hoher Bedeutung, die enge Verflechtung von rassistischen Denkmustern, der Klimakrise und Lösungsansätzen weiter aufzuzeigen und immer neu in den Diskurs zu bringen. 

Machtasymmetrien

In einem globalen Lebens- und Wirtschaftsystem, das auf kontinuierlicher Ausbeutung basiert, gibt es die Profitierenden und jene, die die Kosten der Ausbeutung tragen. Ohne die emotionale Erkaltung gegenüber als fremd markierten Gruppen wären die rasche und globale Entfaltung des Kapitalismus sowie die damit einhergehende Klimakrise nicht denkbar gewesen. Trotz gleicher Rechte setzt sich die Ungleichheit weiter fort. Die Aufteilung von Produktionsmitteln, die Disziplinierung durch das Gewaltmonopol und Hunger führen dazu, dass Menschen Arbeit zu jedweden Bedingungen annehmen, während andere zum Urlaub auf die Kanaren fliegen. Doch der Reihe nach. Seit den 90ern besteht ein Verständnis dafür, dass menschliche Aktivitäten die Hauptquelle erhöhter Treibhausgasemissionen sind, die auf Industrie- und Fleischproduktion, industrielle Landwirtschaft und dem Transport auf Basis fossiler Brennstoffe beruhen. “Globaler Norden” bezeichnet wirtschaftsstarke Industriegesellschaften und privilegierte Gruppen innerhalb einer Gesellschaft, der “Globale Süden” ökonomisch, politisch und gesellschaftlich benachteiligte Nationen oder Gruppen, die sich eher auf der südlichen Erdhalbkugel lokalisieren. Die Ausbeutung der Natur als eine Konstituente der Klimakrise entsteht durch die Angehörigen des Globalen Nordens, die überproportional viele Ressourcen verbrauchen.  Der CO2-Abdruck eines durchschnittlichen Deutschen ist 17-mal größer als der eines durchschnittlichen Menschen in Bangladesch [1]. Die Menschen der Länder des Globalen Südens, die an Ressourcenmangel leiden, unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und ihre Heimaten verlassen müssen, tragen kaum zur Klimakrise bei, sind jedoch am stärksten von ihren Auswirkungen betroffen. Diese Machtasymmetrien entlang der Süd-Nord-Beziehungen sind soweit klar, doch in welchem Verhältnis steht dies nun zum Rassismus? 

Rassismus liefert die Legitimationen, jenen, die von den Folgen des Kapitalismus fliehen müssen, Rechte, Solidarität und ein Leben zu verweigern.

Am 6. September 2016 legten neun Aktivist*innen der Black Lives Matter-Bewegung den London City Airport lahm. Mit ihrer Aktion machten sie darauf aufmerksam, dass die Ungleichheit, die ein Extremwetterereignis zu einer humanitären Katastrophe macht, genau jene Ungleichheit widerspiegelt, die für die weltweit disproportional hohe Zahl an Todesfällen von BIPOC-Menschen verantwortlich ist. Der Klimawandel ist eine globale Krise, deren Auswirkungen weltweit spürbar sein wird – durch die ungerechte Verteilung von Ressourcen, Nahrung und medizinischer Versorgung. Dies betrifft auch die Verfügbarkeit bzw. Qualität von Wohnraum und Land sowie die Möglichkeiten zur Evakuierung. Die Überflutung kleiner Inselstaaten und Küstenregionen, Extremwetterereignisse und damit die Zerstörung menschlichen Lebens und menschlicher Lebensgrundlagen werden in Kauf genommen. Öffentlich wird klar die Position eingenommen, dass bestimmtes Leben weniger Wert sei als anderes und der Tod bestimmtes Lebens in Kauf genommen wird. Das ist Rassismus. Dass sich weite Teile der Gesellschaft in pathologischer Ruhe verhalten, wenn massenhaft Menschen verdursten oder ertrinken, lässt sich mit der Attraktivität des Status Quo begründen. “Wir können nicht allen helfen” verschleiert, dass “wir” nicht helfen, sondern Fluchtrouten produzieren und lebensbedrohliche Zäune und Mauern konstruieren. Die forcierte Abschottungspolitik geschieht in voller Kenntnis der tödlichen Folgen. Unter dem Druck rechtsextremer Bewegungen, der Autoritarismuswelle in Belarus, Ungarn und Polen sind weitere Eskalationen in Anbetracht zukünftiger Fluchtentwicklungen vorherzusagen. Rassismus liefert die Legitimationen, jenen, die von den Folgen des Kapitalismus fliehen müssen, Rechte, Solidarität und ein Leben zu verweigern. Auch wenn der Klimawandel in Zukunft weitere Fluchtebewegungen erzeugt, muss ebenfalls gesagt werden, dass der von Dürren bedrohte afrikanische Kleinbauer der Subsahara-Region nicht die Ressourcen hat in den Norden zu fliehen. Er wird zum Binnenflüchtling, gerät in neue lokale Konflikte oder stirbt, ohne Aussicht auf Flucht. Seine Bilder gelangen nicht in die Medien, weshalb es unsere Aufgabe ist auf diesen Brennpunkt hinzudeuten.

White Days For Future? 

Und auch die Lösungsansätze sind rassistisch. Länder, die der Klimawandel am stärksten trifft, bekommen Geld, um sich an die Folgen anzupassen. Beispielsweise um zu lernen, Gemüse auf schwimmenden Bambuspflanzen anzubauen. Die Diskussion um eine umfassende Veränderung des Denk-, Handels- und Wirtschaftssystems der Privilegierten wird dabei marginalisiert. Länder mit den größten Emissionen sind noch immer sehr unwillig oder gar nicht bereit, diese zu reduzieren. Unsere politischen Verhandlungen und Diskussionen werden von auf Eigeninteressen basierenden Agenden dominiert, anstatt von verantwortungsvollen Entscheidungen, die lokal gedacht auf das Ganze abzielen.

Auch wir, die kollektiv gegen einen Lebensstil einstehen, der sich aus Kolonialismus und Rassismus entwickelt hat, müssen die Klimabewegung reflektieren. Eine rassistische Klimabewegung könnte niemals eine gerechte Zukunft bringen. Die Sozialwissenschaftlerin und Klimaaktivistin Imeh Ituen berichtet in einem Interview mit der taz: “Der Name [Fridays for Future] verweist auf die Zukunft. Er lässt die Klimakrise wie ein Problem aussehen, das vor allem jüngere Menschen oder kommende Generationen betrifft. Das blendet aus, dass Menschen im Globalen Süden seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen haben.” Ferner ist die Klimabewegung überwiegend weiß. Mitglieder des Berliner BIPoC-Klimakollektivs Black Earth “waren zum Beispiel alle schon bei den einschlägigen Klimacamps“, berichtet Ituen, die selbst dem Kollektiv angehört. Unsere Perspektiven waren nicht repräsentiert, wir haben uns dort nicht vertreten gefühlt. Wir hatten auch keine Lust, inhaltlich jedes Mal wieder bei Punkt null anzufangen: Was ist überhaupt Rassismus, was ist Kolonialismus und was hat das mit der Klimakrise zu tun? Und natürlich haben wir auch alle irgendwelche Rassismuserfahrungen gemacht.” [3] Nehmen wir uns also  für 2021 zum guten Vorsatz,  zu überlegen, welche rassistischen Strukturen wir selbst und innerhalb unserer Gruppen reproduziert werden.

Ich, du, wir 

Die Klimakrise und der Rassismus wurzeln in einem Wirtschaftssystem, welches uns zweifelsohne den hohen Lebensstandard ermöglichte, in dem wir leben. Vielleicht liest du diesen Artikel auf deinem Laptop, hast dich heute in eine Bahn gesetzt und neben dir läuft die Spülmaschine. Das sind definitiv Errungenschaften, die ich wertschätze. Aber in diesen Errungenschaften nicht auch gleichzeitig Ausbeutung, Ungleichheit und Rassismus zu sehen, bedeutet nur eine Seite der Medaille wahrzunehmen. Das Privileg zu haben, diese in Anspruch zu nehmen, bedeutet für mich gleichzeitig, die ganzen freien Kapazitäten dazu aufzubringen, diese Ungerechtigkeiten zu verändern. Ohne bereits definiert zu haben, was nun gerecht sei. Für Klimagerechtigkeit zu kämpfen bedeutet sich gegen alle Dimensionen von Unterdrückung zu richten.  Dies geht nur in einer intersektionalen Zusammenarbeit  mit pluralistischen Lösungsansätzen der Klima-, Antirassismus-, Feminismus– und Degrowthbewegung zwischen “Süd” und “Nord”. Es geht darum, Diskurse zu prägen, Dannis und Hörsäle zu besetzen, Lehrpläne umzuschreiben, sich in der globalen Politik einzumischen, auf die Straße zu gehen, Kampagnen in den sozialen Medien umzusetzen, sich die Perspektiven und Lösungsansätze des Globalen Südens auf die Agenden zu schreiben und Kompensationszahlungen der Länder des Globalen Nordens an Länder des Globalen Südens zu fordern. Und am besten nicht für BIPOC-Kollektive oder Verteter*innen des Globalen Südens sprechen, sondern sie selbst sprechen lassen [4]. Gemeinsam und solidarisch. 

Dieser Artikel zum Jahresende soll eine Motivation sein zu kämpfen, aktiv zu bleiben und Mitmenschen anzuregen, sich zu engagieren. Die TUUWI hat für’s nächste Jahr schon zahlreiche Umweltringvorlesungen, Projekte und Aktionen in Planung bleibt auf dem Laufenden und startet gemeinsam mit uns gesund ins Jahr 2021!