“Klimaschutz ist Handarbeit.” – Ein Interview mit Ronja Weil von Ende Gelände

Ende-Gelände-Aktivst*innen bauen Barrikaden in der Rodungsschneise im Dannenröder Wald im vergangenen Dezember – bei Minusgraden und unter Beschuss von Polizei-Wasserwerfern

Das Aktionsbündnis Ende Gelände besetzt seit 2015 Kohlebagger. Mit Aktionen zivilen Ungehorsams in Tagebauen und Kohlekraftwerken erzeugen die Aktivist*innen viel Medienaufmerksamkeit, sie fordern eine konsequente Energiewende. Im Dezember letzten Jahres war das Bündnis zuletzt in den Nachrichten und auf Twitter, als sie sich mit den Besetzer*innen des Dannenröder Walds solidarisierten und die Rodungsschneise blockierten. Wir haben mit Ronja Weil vom Presseteam von Ende Gelände Kontakt aufgenommen, um mit ihr über ziviles Ungehorsam, den Ausbau von Gasinfrastruktur  und die Geschehnisse im hessischen Dannenrod zu sprechen. Im Zuge der Hörsaalbesetzung Ende 2019 hat sich die tuuwi zu Aktionen zivilen Ungehorsams als Form des Klimaprotests positioniert.

Ronja, du bist Pressesprecherin von Ende Gelände. Die Bewegung Extinction Rebellion hat Pressekontakte, diese betonen aber bewusst, dass sie nur Einzelmeinungen wiedergeben und niemals stellvertretend für die gesamte Gruppe sprechen. Wie handhabt Ende Gelände das?

Innerhalb Ende Geländes sehen wir die Notwendigkeit, dass sich Personen vertieft mit Medienarbeit auseinandersetzen und dafür sorgen, dass unsere Ziele und Praxen nach außen gut repräsentiert werden. Dafür haben wir jedes Jahr ein Presseteam, was sich diesen Fragen intensiv stellt und unsere Pressearbeit macht. Dabei geschieht Pressearbeit niemals innerhalb eines Vakuums, sondern ist von gesamtgesellschaftlichen Unterdrückungs- und Diskriminierungsmechanismen stark geprägt. Deswegen haben wir uns dafür entschieden Stimmen hörbar zu machen, denen sonst nicht in gleichem Maße zugehört wird. Das heißt, dass wir uns von Menschen repräsentieren lassen, die marginalisierten Gruppen angehören. Zum Beispiel wollen wir so FLINTA* Personen [Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans* Personen, Anm. d. Red.] und BiPoc [Black, Indigenous and People of Color, Anm. d. Red.] sichtbar machen, denen oft weniger zugehört wird, als weißen Cis-Männern.

Ziviles Ungehorsam als Aktionsform ist kontrovers und zieht daher letztlich viel Aufmerksamkeit auf sich. Bei euren Aktionen handelt es sich letztlich um kalkulierte Grenzüberschreitungen. Macht ihr vor keinerlei Grenzen halt?

Ziviler Ungehorsam ist das aktive Brechen von Gesetzen, die Ungerechtigkeiten hervorrufen. Was wir machen, wenn wir uns auf Bagger setzen, in Kohlegruben laufen oder Schienen blockieren ist, uns mit unseren Körpern der Zerstörung in den Weg zu stellen. An diesen Orten der Zerstörung wird Konzernen gesetzlich das Recht gegeben, die Erde in einem Maße zu zerstören, das nicht nur die Lebensräume vor Ort kaputt machen, sondern horrende Auswirkungen auf die gesamte Weltbevölkerung hat. Mit unserem zivilen Ungehorsam zeigen wir, dass Eigentum nicht zur Klimazerstörung und zur Ausbeutung berechtigt. Dabei gehen wir ruhig und besonnen vor; die Sicherheit aller Beteiligten ist für uns immer Priorität.

Außenstehende sind oft wütend weil sie argumentieren, dass die Polizeieinsätze bei Ende-Gelände-Aktionen große Mengen Steuergeld fordern, Geld was man in den Ausbau Erneuerbarer hätte stecken können. Habt ihr dafür Verständnis?

Natürlich sind die Steuergelder, die in Polizeieinsätze fließen absurd. Wenn man sich dann einmal anschaut, was für “Schadensersatzzahlungen” die Kohlekonzerne bekommen sollen, die aktiv die Klimakrise eskalieren, ist das ebenfalls schockierend. Dass ein Kampf gegen diese Zerstörung durch riesige Polizeieinsätze kriminalisiert wird, zeigt die Priorität der deutschen Politik: Profite der Kohlekonzerne vor einer demokratischen und solidarischen Transformation unserer Wirtschaft und Energieproduktion.

Ende Gelände kritisiert seit Jahren die deutsche Energiepolitik. Ihr könnt sicher tausende Argumente nennen, warum die Energiewende zu langsam erfolgt. Angenommen, Ende Gelände würde jetzt das Energieressort (oder möglicherweise auch Peter Altmaiers Posten?) der Bundesregierung übernehmen: Welche konkreten Dinge müssten getan werden?

Es ist klar, dass kein Ressort, und auch unser gesamtes politisches System, in keinem Vakuum existiert, sondern innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Dieses System ist auf Profit und endlosen Wachstum ausgelegt – etwas, was sich weder mit Nachhaltigkeit und dem Klima, noch mit diskriminierungsfreien Zusammenleben in Einklang bringen lässt. Es reicht also nicht, einzelne Teile eine profitgierigen Politik umzuschreiben, sondern wir brauchen eine Transformation unseres gesamten Wirtschaftssystems. Hin zu einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft, die nicht auf die Ausbeutung marginalisierter Gruppen oder auf die Zerstörung unseres Klimas angewiesen ist. Diese Transformation wird nicht aus der Politik heraus angestoßen werden, sondern muss von unten kommen.

Mit 2020 ist ein außergewöhnliches Jahr zu Ende gegangen. Die Corona-Pandemie ist noch immer mehr als allgegenwärtig, daran hat auch das Jahresende nichts geändert. Wie war das Jahr rückblickend für Ende Gelände, allgemein und in Bezug auf Covid-19? Welche wichtigste Lehre habt ihr als Gruppierung bisher aus der Pandemie gezogen?

Natürlich war dieses Jahr für soziale Bewegungen ein sehr herausforderndes. Gerade Bewegungen, die auf die Körperlichkeit ihres Protests setzen, wurden dadurch gelähmt. Es ist dabei wichtig (gewesen), keine Krisen gegeneinander auszuspielen und sich sowohl solidarisch mit dem Gesundheitspersonal in Zeiten einer Pandemie zu zeigen, als auch mit den Menschen, die heute und morgen unter den Folgen der Klimakrise leiden. Außerdem hat die Politik genutzt, dass öffentlicher und lauter Protest gegen sie stark eingeschränkt war und hat klimazerstörerische Fakten geschaffen – mit der Inbetriebnahme von Datteln IV, sowie mit dem Kohlegesetz, dass diese tote Industrie 18 weitere Jahre mitschleppt und sie am Ende noch vergoldet.

Ende Gelände hat sich über einen langen Zeitraum ein Hygienekonzept erarbeitet und mit diesem eine Massenaktion zivilen Ungehorsams im rheinischen Revier im Sommer organisieren können. Dabei haben auf dezentrale Camps, kleinere Gruppen und viele weitere Schutzmaßnahmen gesetzt. Trotz der Schwierigkeiten ist es uns gelungen, die Kohle- und Gasinfrastruktur vor Ort an vielen verschiedenen Stellen lahmzulegen und uns der Zerstörung in den Weg zu stellen.

Pandemien und Krisen werden ein häufigeres Phänomen werden mit dem veränderten Mensch-Natur-Verhältnis und der eskalierenden Klimakrisen. Dabei ist es wichtig, dass wir und solidarische Praxen erarbeiten, die Kämpfe für das gute Leben für alle weiterhin ermöglichen.

Wenn man so sagen will, habt ihr im abgelaufenen Jahr euer „Profil geöffnet“. Ihr habt bei der Aktion im Rheinischen Kohlerevier im September erstmals nicht nur Kohle- sondern auch Gasinfrastruktur blockiert. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Der Ausstieg aus einem fossilen Energieträger darf nie einhergehen mit dem Einstieg in einen anderen. Zur Zeit wird auf EU-Ebene massiv in Gasinfrastuktur investiert. In Deutschland sehen wir, dass mit dem Bau von LNG-Terminals und Pipelines investiert wird in eine Zukunft mit einem ebenso zerstörerischen Energieträger wie Kohle. Während der Ausbau von Erneuerbaren immer wieder verschleppt und erschwert wird, läuft die fossile Klüngelpolitik weiter. Eine Inbetriebnahme dieser neuen Gasprojekte hätte verherende Folgen für unser Klima. Folgen, die wir uns nicht leisten können.

Letztlich muss es für eine Energiewende Übergangslösungen geben. Mit dem derzeitigen Technologie-Stand ist eine ausschließliche Grundlastdeckung durch Erneuerbare nicht möglich. Die CO2-Emmissionen durch Gasverbrennung sind rund ein Drittel niedriger als Verbrennung von Braunkohle, Gaskraftwerken kommt in den nächsten Jahren möglicherweise noch eine wichtige Rolle zu. Lehnt Ende Gelände das grundsätzlich ab? Was sind die Alternativen?

Wir stehen mit den Erneuerbaren dort, wo wir stehen, weil jahrelang weiterhin in sterbende und schädliche Industrien investiert wurde, statt eine dezentrale und nachhaltige Energieproduktion zu fördern. Gas ist, auf die ganze Produktionskette gesehen, nicht nur genauso klimaschädlich, wie Kohle, sondern wird oftmals auch unter unmenschlichen Zuständen gefördert. Innerhalb der Gasindustrie werden neokoloniale Muster reproduziert und gestärkt. Jede Industrie, die auf Zerstörung und Ausbeutung beruht, ist natürlich abzulehnen. Was wir brauchen ist ganz klar eine solidarische und lokale Energiegewinnung.

Wie beurteilt ihr die Kostenabwälzung einer schnellen Energiewende zu Lasten der Bürger*innen?

Ende Gelände ist ein Klimagerechtigkeitsbündnis. Wir kämpfen dafür, dass nicht nur die Klimakrise gestoppt wird, sondern, dass die dafür nötigen Transformationen sozial gerecht ablaufen und in ein gutes Leben für alle münden. Deswegen kann eine Energiewende nicht auf den Rücken der ökonomisch prekär gestellten ausgetragen werden – wie das bei den Folgen der Klimakrise gerade gemacht wird – sondern es müssen die in die Verantwortung gezogen werden, die den Schaden anrichten. Konzerne, die über Jahre die Klimakrise eingeheizt haben, müssen Verantwortung übernehmen und diese Schäden begleichen. Also statt Schadenszahlungen für die Kohleindustrie muss es Schadenszahlungen von der Kohleindustrie geben.

Ich möchte auch auf den Dannenröder Wald zu sprechen kommen, wir haben in unserem Blog regelmäßig darüber berichtet. Dort hat eure Gruppierung zu Solidaritäts-Aktionen aufgerufen. Es wurden schon andere Wälder besetzt, die Rede ist vom Hambacher Wald, Grund dafür war aber immer der drohende Ausbau des naheliegenden Braunkohletagebaus. Der Dorn im Auge vieler Menschen im Dannenröder Wald ist dagegen ein Verkehrsinfrastrukturprojekt, der Ausbau der A49. Es geht also nicht nur um Kohle?

Es gibt viele verschiedene Industrien und Sektoren, die Öl ins Feuer der Klimakrise gießen. Der deutsche Autokapitalismus ist einer davon. 2020 noch Wälder zu roden, um Autobahnen zu bauen ist absoluter Irrsinn. Was wir brauchen ist eine solidarische Mobilitätswende, die allen nachhaltige Bewegungsfreiheit bietet.

Wird es 2021 weitergehen? Welche Aktionen sind geplant?

Auch 2021 werden wir weiter für Klimagerechtigkeit kämpfen. Wir sehen jeden Tag neue Auswirkungen der Klimakrise, während die Politik kein Interesse zeigt, dagegen anzugehen. Es bleibt also dabei: Klimaschutz ist Handarbeit.

Vielen Dank für deine Zeit!

 

Nachfolgend noch einige Impressionen aus der Danni-Aktion von Ende Gelände im Dezember.