Der Analphabetismus der Werbeindustrie – Teil II

Ein Kommentar von Vincent Hommel

Welche Arten von Werbung gibt es? Was muss ich beachten, wenn ich einen “Bitte keine Werbung”-Aufkleber nutzen will? Und was hat die TUUWI damit zu schaffen? Leser des Grünen Fußabdrucks – ein weiteres Mal möchte ich eure Nachhaltigkeitszellen in euren „cerebrumi“ anregen. Schütten wir ein paar Infos sowie Beispiele zusammen und hoffen auf eine Meinungsbildung mit einer Prise Selbstreflexion.

Im letzten Artikel ging es um überflüssige bunte Werbung, Ressourcenverschwendung, Apelle… Viel Negatives auf einmal, daher beleuchten wir in diesem einmal kurz die rechtlichen Grundlagen sowie ein paar Alternativen.

Im abgelaufenen Wintersemester 2020/21 haben sich Studierende diverser Fachbereiche in verschiedenen Projekten im Rahmen des Moduls “reflektiert.engagiert” dem Namen getreu – reflektiert und engagiert. Das nach dem Service-Learning-Prinzip gestaltete Modul enstand aus einer Kooperation des Instituts für studium generale und der Tuuwi. Ich habe mich im Projekt “Starautor*in bei der Tuuwi werden” engagiert. Marlene berichtete von Foodsharing, Maren von Too Good To Go und ich widmete mich schon einmal dem Thema Papierverschwendung. Damit möchte ich heute fortfahren.

Aber bevor wir weiter in die Materie einsteigen werde ich auf einen Kommentar eines Lesers eingehen, der mich erreicht hat – vielleicht hilft es auch anderen zum besseren Verständnis.

Ein Leser*innen-Kommentar

Es gibt in jedem Thema, besonders zu Umweltbelastungen usw. sehr viele verschiedene Meinungen/Ansichten von Problemen und Lösungen. Ich kenne nicht DIE perfekte Strategie. Es wird immer irgendwo Abzüge geben, denn ohne Veränderungen würde nichts passieren. Wir wissen, dass wir mit unserem bisherigen Konsumleben nicht mehr so exzessiv weiter machen können wie bisher. Wäre cool, wenn das ginge, dann müsste ich mir weniger Sorgen um die Zukunft machen und nicht immer so streng auf mein Leben schauen. Aber Trost für alle anderen – Niemand lebt ein perfektes Leben. Und das ist auch ok. Ich glaube es gibt keine per se „sinnlosen“ Tätigkeiten, denn irgendeinen Sinn erfüllen sie immer, nur die Ansicht, ob dieser für einen selbst „sinnvoll genug“ ist begründet die Wichtigkeit. Ich mag die im Kommentar beschriebenen Ideen. Die würde ich am liebsten direkt nach oben tragen zu gewissen Leuten, dass sie generell etwas für die Menschen tun, da es immer noch so gravierende Ungerechtigkeiten gibt.

Die Debatten sind nicht neu – die Umsetzung einfach zu langsam! Aus allen Branchen, Lebensbereichen, Stilen etc. gibt es Ansatzpunkte, die verbesserungswürdig sind. Wo fängt man an? Wer hat Vorrang? Alles schwierig, doch wir alle wollen in einer für uns lebenswerten Welt leben. Ich kann hoffen und mit meinen Beiträgen, die ich im Leben leiste, meinen Aktionen oder durch Wahlen versuchen das Geschehen in die günstigere Bahn zu lenken.
Ich bin nicht so extrem technisch versiert, jedoch bleibt für mich der Grundsatz „Einmal im Internet, immer im Internet“. Online-Werbung wird immer stärker betrieben, da die Unternehmen sich des Nutzens der Digitalisierung bewusster geworden sind. Klar ist das auch „Datenmüll“, jedoch sind Onlineprospekte, genau wie reale Werbung nur für eine begrenzte Zeitspanne auf den Plattformen verfügbar, da es die Funktion der direkten Vermittlung von Rabatten, Aktionen  usw. nicht mehr erfüllt, nach Ablauf eines gewissen Datums. Es ist einfacher solche „Kleinigkeiten“ zu entfernen als ein globales Umweltproblem – meiner Meinung nach. #subjektiveMeinung

Ich könnte das Thema auch noch globaler umfassen, aber ich will mich lieber auf Deutschland beziehen. Das ist schon schwierig genug. Es gibt verschiedene Aktionen und Forderungen die das Thema „Keine Werbung“ behandeln. Das kommt zum Teil in diesem wie  in anderen Artikeln zum Vorschein. Dass die normalen Aufkleber gar nicht alle rechtlichen Grundlagen abdecken, dass es spezielle Anforderungen gibt oder dass man gegen bestimmte Werbung nichts machen kann. Aber auch die Forderung nach einer Umkehrung der Problematik, dass es Aufkleber geben soll auf denen steht, dass man gerne Werbung möchte und auch nur diese Menschen dann welche bekommen. Und weitere Aspekte, wobei ich nie alles abdecken werde, das sprengt enorm den Rahmen eines Onlineblogs.

Aber hey, für Anregungen und Themenvorschläge habe ich immer ein offenes Ohr.

Machen wir mal einen großen Sprung zurück zum Thema.

Werbung ist trotz fortschreitender Digitalisierung – irgendwann auch in Deutschland (Hoffnung stirbt zuletzt) – ein beliebtes Direktmarketingtool. Der vermeintliche Kunde hat die Werbung, meist ungewollt, im Briefkasten und schaut sie sich auch, wenn nur für einen kurzen Moment zeitweise an. Die bekannteste Methode sich dagegen zu „wehren“ sind die „Bitte keine Werbung“-Aufkleber, aber nicht immer erfüllen sie ihren Zweck. Ich erspare euch mal kurzerhand die ganzen Urteile, Seiten und Formulare die ich mir angeschaut habe und versuche alles kompakt alltäglich zusammenzufassen. Aber welche Arten von Werbung landet in unseren Briefkästen?

Briefkastenwerbung
Dabei handelt es sich um Sendungen, welche nicht direkt an den Empfänger adressiert sind. Rechtlich sind sie zulässig außer mit dem oben genannten Aufkleber. Die Empfänger einer solchen Sendung können aber auch schriftlich, telefonisch oder durch Eintragung in die sogenannte Robinson Liste des Deutschen Direktmarketing Verbandes eV ihren Widerspruch ausdrücken. Bekommt man dennoch Werbung dieser Art ist es ein gesetzlicher Verstoß.

Briefwerbung
Hier wird es ein bisschen kniffliger, denn auch wenn man mit einen Aufkleber Widerspruch einlegt so kommt es darauf an, ob die Sendung von einem Postzusteller oder einem Verteiler zugesendet wurde. Der Postzusteller ist nicht Superman mit Röntgenblick  und kennt den Inhalt des Briefes nicht, zudem weiß der Händler dadurch auch nicht, ob ein Aufkleber vorhanden ist. Anders sieht es bei dem extra eingesetzten Verteiler aus, der über den Inhalt der Ware weiß und direkten Händlerkontakt hat.

Anzeigenblätter
Besonders im ländlichen Raum ein stark verbreitetes Medium. Es erscheint periodisch mit überwiegenden geschäftlichen Anzeigen, redaktionellen Beiträgen von meist lokalem Interesse und wird unbestellt sowie unentgeltlich an die Haushalte versendet. Die Werbung kann gedruckt auf den Seiten oder lose im Anzeigeblatt enthalten sein. Da sie generell durch ihren Mix nicht als Werbung gelten dürfen sie auch mit dem obigen Widerspruch eingeworfen werden. Ein Vermerk „Bitte keine Kostenlosen Zeitungen“ oder „Keine Werbeprospekte und keine Anzeigenblätter“ wären bessere Alternativen für einen Widerspruchsvermerk.

Beilagenwerbung
Auch abonnierte Zeitungen mit beigefügter Werbung sind trotz Sperrvermerk zulässig. Entscheidend, der Empfänger muss die Zeitung selbst abonniert haben.

Juristisch gibt es auch die Unterscheidung zwischen nichtadressierter(identischer Stoß Werbung wird für alle eingeworfen) und teiladressierter(z.B. an die Bewohner des Hauses u.ä.) sowie adressierter(richtet sich eindeutig an Sie, mit Name und Anschrift) Werbung.

Wenn wir mal die elektronische Werbung außenvorlassen, dann ist das sehr viel auf einmal. Habe ich viel gelesen? Ja. Habe ich alles verstanden? Hmmm.
Kurz gesagt, Werbung ist im Übermaß da. Briefkästen quellen förmlich über davon. Man verliert den Überblick, auch bei rechtlichen Angelegenheiten, denn die überwiegende Mehrheit besitzt nicht einmal den einfachen Werbungsverbotsaufkleber, noch weniger Haushalte besitzen einen spezifischen Aufkleber. Wird auch nicht gerade groß auf den Fahnenmast geschrieben, wie sich Empfänger dagegen wehren können.
Der Fakt, dass nicht angeforderter Papiermüll, als Einwegprodukt mit Ablaufdatum einem zugestellt wird zeigt die Absurdität einer Ressourcenverschwendung. Wahrscheinlich ging Vernunft  im Strudel der deutschen Bürokratie genauso verloren, wie das angelernte Wissen im Wintersemester nach der Weihnachtszeit. In beiden Fällen fängt man hastig von neu an und macht oft leere Versprechen, wie, es nächstes Mal besser zu machen.
Die wirren gesetzlichen Regelungen sind wohl weniger im Sinne der Bürger*innen, sie spielen den Werbeunternehmen eher in die Hände. Gegen Missachtungen von „Aufklebern“ etc. kann man höchstens das Unternehmen abmahnen, im schlimmsten Fall gegen das Vorgehen klagen. Die meisten Unternehmungen sind dann aber mit einem hohen Zeitaufwand oder Kosten verbunden.

Eine Initiative, die seit einigen Jahren besteht und ein anderes Konzept verfolgt ist die Non-Profit-Organisation  „Letzte Werbung“ in Deutschland. Neben Aufklärungsarbeit und Hilfeleistungen für Mahnungen gegen Werbeunternehmen ist es ihr großes Ziel die derzeitige Gesetzteslage umzukehren. Werbepost soll nur noch auf ausdrücklichen Wunsch eingeworfen werden.
Das Konzept des Opt-In-Systems ist z.B. in den Niederlanden schon in einigen Städten etabliert. Bürger*innen bekommen mit einem „Ja“-Aufkleber ihre Sendungen. So werden Ressourcen geschont, aber auch Bürgerrechte gestärkt sowie Zusteller*innen entlastet. Neben den rechtlichen Schwierigkeiten überwiegen vor allem die ökologischen Folgen der jährlichen Produktion und Verteilung von Werbepost.
Alleine hierzu könnte man Seitenweise juristische Urteile, Aktionen und Publikationen benennen und umschreiben. Man kann auch selber mitmachen und sich auf der Seite eintragen. Einen Besuch ist es allemal wert.

Eine Aktion der  TUUWI hilft zum Teil auch jetzt schon, denn mit Aussagen wie “Keine Werbeprospekte und keine Anzeigenblätter”(o.ä.) wird die Rechtslage stärker abgedeckt, als bei den üblichen Aufklebern. Zudem sind sie ansprechender als die grauen Schnipsel in so manchen Studentenwohnheimen.
Als studentische Gemeinschaft mit den jeweiligen Hausverwaltungen könnte man die betreffenden Firmen auch direkt kontaktieren oder sich an die Verbraucherzentrale wenden, wenn der Werbungsmüll nicht stoppt. Aber auch Aktionen ins Leben rufen in Kooperation mit dem Studentenwerk, der TU-Dresden und den jeweiligen Zuständigkeiten für Studentenwohnheime, um für die betroffenen Briefkästen, sofern sie gewünscht sind, solche Aufkleber zu organisieren. Kurzerhand flächendeckend sinnvoll Geld ausgeben. Exzellenz mal anders.

Also, wer Interesse hat kann sich, nach Absprache mit der Hausverwaltung eines Studentenwohnheims, bei der TUUWI solch einen Sticker zukommen lassen.

Heute war es für manche sicher schwere Kost. Aber ein bisschen Grundlagenkenntnis schadet nie. Es kommt noch oft genug Schwung in die Bude. Als Autor eines Onlineblogs stehen einem gewisse Freiheiten zu, doch für Themenvorschläge und Anregungen ist immer Platz. Nutzt daher gerne die zahlreichen Veranstaltungsmöglichkeiten oder besucht uns auf Facebook sowie Instagram – da lässt sich so ein Kommentar schneller tippen. Bin ich jetzt so´n Influencer..naja, frohes Schaffen, frohes Leben auf bald.