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Bis auf’s letzte Hemd

Am 26. und 27. April fanden bei uns wieder einmal Projekttage statt, diesmal zum Thema Kleidung. Seit Beginn unserer Vorlesungsreihe „Nachhaltiger Alltag“ geisterte das Thema in unseren Köpfen herum, war aber zu groß, um im Rahmen einer neunzigminütigen Vorlesung mehr als nur an der Oberfläche angekratzt zu werden. Kleidung ist alltäglich und allgegenwärtig. Wir tragen sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der wir essen und trinken; meist ohne mehr als einen flüchtigen Gedanken daran zu verschwenden, wie sie ins Ladenregal gekommen sind. Dass in der Textilbranche Mensch und Umwelt ausgebeutet werden, ist kein Geheimnis. Trotzdem kaufen Menschen in Deutschland durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke im Jahr, während gleichzeitig die Tragedauer stetig abnimmt.[1] Wie kann es zu einer solchen Diskrepanz zwischen unserem Konsumverhalten und dem Wissen zu den Herstellungsprozessen unserer Kleidung kommen?

Ziel der Projekttage war es, sich einmal ein Wochenende lang intensiv mit Fragen zu beschäftigen, für die im Alltag meistens keine Zeit bleibt. Wo kommt all die Kleidung her? Welchen Textillabeln kann ich vertrauen? Und welche Alternativen haben wir eigentlich?

Freitag: Was ist los in der Textilindustrie?

Eine Alternative zeigten wir gleich am Anfang auf. Ein großer Kleidertausch im Hörsaalzentrum bildete den Auftakt zu den Projekttagen. Dort konnten alle Menschen alte, aber noch gute Kleidung loswerden und sich auch gleich nach passendem Ersatz umsehen – kostenlos natürlich, ein Gewinn für alle Beteiligten. Während auf der einen Seite munter Kleidung begutachtet, probiert und herumgealbert wurde, veranstalteten die Hochschulpiraten im gleichen Raum ein Repair-Café.

Am Abend begann dann der fachliche Teil der Projekttage. Vivien Tauchmann vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen stellte die Clean Clothes Campaign vor und sprach über das Rana Plaza-Unglück vom 24. April 2013, bei welchem 1.134 Textilarbeiter*innen in Bangladesch bei einem Gebäudeeinsturz ums Leben kamen. Und auch im Jahr 2019 ist Ausbeutung in der Textilbranche ein profitables Geschäft. So hatte H&M eigentlich angekündigt, seinen rund 850.000 Beschäftigten bis Ende 2018 existenzsichernde Löhne zu zahlen. Die Kampagne #TurnAroundH&M macht nun darauf aufmerksam, dass der Konzern sein Versprechen bislang nicht wahr gemacht hat.[2]
Eine gänzlich andere Perspektive brachte Frau Dr. Lisa Koep ein, welche an der Professur für BWL an der TU Dresden arbeitet und sich auf Nachhaltigkeitsmanagement und betriebliche Umweltökonomie spezialisiert hat. In ihrem Vortrag sprach sie über die Schwierigkeiten im Lieferkettenmanagement und bei der Kontrolle vom Umweltstandards.
Zum Abschluss des Abends stellte Linda Kolata von Greenpeace Dresden schließlich die Detox-Kampagne vor, welche sich gegen gesundheitsgefährdende Chemikalien in Kleidung sowie den Einsatz und die Entsorgung von Umweltgiften bei der Textilherstellung richtet. Greenpeace will damit einerseits die Konzerne verpflichten, ihre Produktionsketten fair und umweltfreundlich zu gestalten, und andererseits mehr Transparenz für die Verbrauchenden schaffen.[3]

Samstag: Der Umgang mit unserer Kleidung

Am Samstag fanden dann in kleinerer Runde die Workshops statt. Zunächst einmal wurde sich mit der Frage beschäftigt, was eigentlich mit gespendeter Kleidung passiert und ob es unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten überhaupt sinnvoll ist, Kleidung im Spendencontainer zu entsorgen. Dabei traten teils erschreckende Geschichten zu Tage. Nicht nur, dass gespendete Kleidung zu großen Teilen von EU-Ländern aufgekauft und von dort nach dem jeweiligen Zustand gestaffelt in entlegenere Weltregionen exportiert wird, wo die billigere Konkurrenz die lokale Textilverarbeitung vom Markt verdrängt. Es werden sogar erneut in Mode gekommene Kleidungsstücke aussortiert und wieder in die Spendenländer reimportiert, um sie dort zu verkaufen.[4]

Im zweiten Workshop-Teil setzten wir uns dann einmal intensiv mit drei beispielhaft ausgewählten Kleidungsstücken auseinander und versuchten, deren Produktionsweg zurückzuverfolgen. So ein T-shirt kommt ganz schön herum auf unserem Planeten. 36% des Mikroplastiks in den Meeren stammt aus der Textilindustrie, wiederum 49% der global produzierten Kleidung besteht aus Chemiefaser. Eine Jeans wird im Schnitt gerade einmal zwei Jahre lang getragen.

All das ließ uns ein wenig ratlos zurück. Müssen wir als Verbrauchende wirklich jedem einzelnen Kleidungsstück hinterherrecherchieren, und uns über existenzsichernde Löhne, Umweltgifte, Ressourcen, Lieferketten und Textilverarbeitung belesen, um nicht dem Greenwashing eines Bekleidungskonzerns auf den Leim zu gehen? Textillabel gibt es wie Sand am Meer, aber welchen davon ist zu trauen?
Einige, wie z.B. das OEKO-TEX-Standardlabel haben mit Umweltschutz gar nichts zu tun. Sie kennzeichnen nur die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Produkts, wobei der Name mehr als irreführend sein kann. Die FAIR WEAR-Foundation wiederum hat sehr hohe soziale Standards, kümmert sich aber weniger um ökologische Kriterien, während es sich bei blueSign genau umgekehrt verhält. Das Fairtrade-Label hingegen berücksichtigt sowohl ökologische als auch soziale Aspekte.[5]

Fazit

Was wir bei alldem aber nicht vergessen sollten, ist die Suffizienz. Denn Textillabel und mehr oder minder bindende Versprechen von um ihr Image bemühten Konzernen erzeugen auch immer eine Illusion von Kontrolle, die wir als Verbraucher*innen nicht haben. Das Ende der Massenproduktion von Textilien ist ohne Selbstbeschränkung nicht zu erreichen. Indem wir Kleidung zum Beispiel seltener waschen (eine Jeans sollte nicht häufiger als alle zwei Wochen gewaschen werden), nutzt sie langsamer ab. Reparieren stellt immer noch eine weitaus bessere Option dar, als wegwerfen. Kleidung, die nicht mehr passt oder gefällt, kann bei einem Kleidertausch verschenkt werden. Allein die Tragedauer eines Kleidungsstücks bis auf ein Maximum auszureizen, sollte selbstverständlich sein. Und wie viel Kleidung benötigt ein Mensch überhaupt? 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr – das bedeutet auf lange Sicht entweder einen expandierenden Kleiderschrank oder 60 weggeworfene Altkleider. Ein Luxus, den wir uns nur leisten können, wenn andere Menschen dafür ausgebeutet werden. Aber Verzicht ist keineswegs so negativ, wie viele gerne glauben. Dass Konsum allein nicht glücklich macht, sollten wir inzwischen gemerkt haben – und unser Handeln daran anpassen. Dann wird unsere Kleidung am Ende auch wieder die Wertschätzung gewinnen, die sie verdient.

Text: Dennis Biba
Foto: Pexels auf Pixabay

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[1] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/s01951_greenpeace_report_konsumkollaps_fast_fashion.pdf
[2] https://saubere-kleidung.de/turnaroundhm/
[3] https://www.greenpeace.de/kampagnen/detox
[4] Hansen, Karen (2004): Helping or Hindering? Controversies around the international second-hand clothing trade. In: Anthropology Today. Vol 20/4. August 2004.
–>Richter, Sabine: Nutzen von Kleiderspenden. Was Altkleider aus Deutschland für Afrika bedeuten. In: Die Wohnungswirtschaft September 2015.
[5] https://www.publiceye.ch/de/themen/mode/labels-und-standards

Wohnen in Dresden wird teuer und politisch- Wir fragen nach

Der große Teil aller Dresdner Studierenden wohnt auch in der Landeshauptstadt. Viele kommen in Wohnungen und Wohngemeinschaften des Studentenwerkes unter. Auf diese Weise müssen sich Studierende noch nicht mit den realen Wonungsmarktpreisen herumschlagen. Spätestens mit dem Ende der Studienzeit ist diese Schonfrist jedoch vorbei und man muss je nach Lage mal mehr mal weniger Geld für Wohnraum ausgeben. In letzter Zeit wurden bundesweit Proteste laut, da besonders in den großen Städten Mieten immer weiter steigen – ohne eine Anpassung der Löhne. Alter Wohnraum wird teils kostenintensiv renoviert oder neue Wohnungen sehr teuer gebaut und vermietet. Bevölkerungsteile mit einem kleineren Geldbeutel werden so aus attraktiven, zentraleren Wohnlagen an den Stadtrand verdrängt.

Diese Problematik wird unter dem Titel “Wohnungsmarktentwicklung und Gentrifizierung am Beispiel Dresden” am 29.04. in der Umweltringvorlesung Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt. behandelt. Wir haben uns im Vorfeld mit Hannes vom Bündnis Dresdens Mietwahnsinn stoppen getroffen und eine Meinung zur Wohnungsmarktsituation in der Landeshauptstadt eingeholt.

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Was bedeutet für dich Gentrifizierung?
Gentrifizierung ist ein Prozess den Viertel und Kieze durchlaufen. Es handelt sich um ursprünglich günstigen Wohnraum in einer heruntergekommenen Gegend, in der sich zum Beispiel Kulturschaffende ansiedeln. Leute, die den Wohnraum attraktiv finden und ihn weiter aufwerten wollen, investieren entsprechend, wodurch der Wohnraum noch attraktiver wird und die Mieten steigen. Die ursprünglich im Viertel lebenden Menschen werden durch die erhöhten Mieten schließlich heraus gedrängt.

Was sind die Hauptforderungen eures Bündnisses für Dresden?
Unsere Forderungen sind weniger konkret politisch, sondern eher allgemein: Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht. Menschen dürfen nicht durch Profitorientierung aus ihrer ursprünglichen Lebensumgebung verdrängt werden.

Wie der Titel schon sagt, beschäftigt sich unsere Vorlesung explizit mit Dresden. Wie würdest du die aktuelle Wohnungsmarktsituation hier in der Landeshauptstadt beschreiben?
Die Stadt gibt dazu alle vier Jahre einen Wohnungsmarktbericht heraus, zuletzt 2018. Der kann online eingesehen werden. Der Leerstand beispielsweise ist nicht sehr hoch, momentan 6 Prozent, davon ein großer Teil Fluktuationsleerstand. Das heißt, wenn Leute aus einer Wohnung in eine andere umziehen, steht die alte Wohnung meist kurze Zeit leer, bevor sie neu vermietet wird. Der tatsächliche Leerstand ist also sehr gering.
Zusätzlich steigen die Mietpreise rapide, Grundstückspreise noch stärker. Und das hängt natürlich zusammen. Wenn Investor*innen Grundstücke kaufen müssen sie die Preise refinanzieren. Das spiegelt sich in den späteren Mietpreisen wieder, da die Investor*innen ihren Einsatz schnell wieder zurückbekommen wollen. Es wird auch viel spekuliert. Insgesamt ist die Situation schon angespannt, wenn auch nicht so stark wie in anderen deutschen Städten. Auf der Demonstration am 6. April hat man aber gemerkt, dass Bedarf da ist um über die Situation zu reden, besonders bei älteren Menschen. Es gibt viele Menschen, die gemerkt haben, dass die Mieten deutlich schneller steigen als ihre Löhne und sie perspektivisch dadurch Probleme bekommen.

Was kann die Stadt Dresden und was können wir als Einwohner*innen für eine gerechtere Wohnsituation tun?
Die wichtigen wohnungspolitischen Entscheidungen fallen tatsächlich nicht auf kommunaler, sondern auf Landes- und Bundesebene. Hier muss noch viel passieren. Die Stadt hat nur ein paar Möglichkeiten. Ein Werkzeug ist das Milieuschutzgebiet. Wollen Investor*innen in diesen Gebieten Wohnraum modernisieren, müssen sie vorher eine Genehmigung der Stadt einholen. Letztere hat in diesen Fällen auch ein Vorkaufsrecht. Ein weiteres Werkzeug ist kommunaler Wohnungsbestand. Damit kann die Stadt anders wirtschaften als ein gewinninteressiertes Unternehmen. Handeln müssen letztlich die Politiker*innen. Wir als Initiative wollen für entsprechenden politischen Druck sorgen. Erst dann passiert etwas. Den erzeugt man zum Beispiel durch Demonstrationen oder Organisation in Initiativen wie bei uns, die Vernetzung der Betroffenen untereinander.

Möchtest du unseren Studierenden noch etwas mitgeben?
Wenn Leute Unterstützung bei der Organisation und Vernetzung brauchen, helfen wir als Initiative ihnen. Wir treffen uns alle zwei Wochen als offener “Stammtisch Recht auf Stadt”. Bei Interesse kann man uns auch gern kontaktieren.

Ihr wollt mehr wissen zum Thema Wohnen in Dresden? Dann kommt zur Vorlesung am 29.04.!

WAS WANN WO?
Umweltringvorlesung Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt.
Wohnungsmarktentwicklung und Gentrifizierung am Beispiel Dresden mit Dr. Jan Glatter (Stadtplanungsamt Dresden)
29.04.19
16:40-18:10
HSZ 403

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Interview und Text: Theresa Zakrzewski
Bild: Dresdens Mietwahnsinn stoppen

Die moderne Stadt als Rührei

STADT. Das ist das Gegenteil von Land. Es gibt Klein-, Mittel-, Großstädte. Sie entstehen meist an größeren Kreuzungspunkten, werden von den verschiedensten Akteur*innen geprägt und bringen ab einer bestimmten Größe den Fluch und Segen der Anonymität mit sich. So oder ähnlich, aber auch ganz anders kann man eine Stadt beschreiben. Denn Städte sind unheimlich vielfältig und im ständigen Wandel begriffen, was ihre bewusste Beeinflussung zu einer anspruchvollen Aufgabe macht. Und damit steckt man auch schon mitten in der Problematik des Städtebaus, dem Thema der letzten Umweltringvorlesung “Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt” am 15.04.

Unter dem Titel “Von der Polis zur Metropolis und regionalen Agglomerationsräumen” führte Frau Prof. Angela Mensing-de Jong, Inhaberin der Professur für Städtebau an der TU Dresden, die Anwesenden in das komplexe Gebilde Stadt ein, gab einen Überblick zu Faktoren, die das Stadtleben bestimmen und zeigte Herausforderungen des heutigen Städtebaus auf. Eine grafisch sehr ansprechende Variante, um darzustellen welche Metamorphose Städte im Laufe der Zeit durchliefen, entwicklelte der Architekt Cedric Price (1934- 2003). Danach hatten Städte der Antike noch eine klar geordnete Struktur mit einem Zentrum und einer harten Außengrenze. Mit der Zeit schwommen die Strukturen immer mehr und gingen ineinander über, sodass man im Zustand des Rühreis- der heutigen, modernen Stadt- schließlich nicht mehr erkennt, wo sich das Zentrum und wo die Randgebiete befinden.

Vom gekochten Ei über das Spiegelei zum Rührei. So beschreibt der Architekt Cedric Price die Veränderungen in der Entwicklung von Städten über die Jahrunderte hinweg.

Städte lassen sich über verschiedene Parameter analysieren. Die Lage, Historie, Struktur, Funktion und Gesellschaft einer Stadt sind immer anders und zeichen gemeinsam ein ausführliches und einzigartiges Bild. So sagen die Lage und die topografischen Gegebenheiten etwas über die Ursprünge einer Stadt aus. Dresden entstand beispielsweise an einer leicht passierbaren Stelle der Elbe. Die Geschichte lässt sich anhand von Schichten und Fragmenten früherer Zivilisationen untersuchen, während man für die Struktur Haustypologien, Zonierungen oder die natürlichen Grenzen einer Stadt heranzieht. Auch die (ursprüngliche) Funktion lässt sich untersuchen, anhand der Gestaltung von Quartieren .

Durch die zahlreichen Betrachtungsmöglichkeiten, welche Frau Mensing-de Jong dem Publikum vorstellte, erhielt man einen guten Eindruck davon, wie komplex und vielschichtig menschliche Siedlungen aufgebaut sind. Zwei einschneidende Ereignisse in der jüngeren Geschichte der Stadtentwicklung stellen die Industrialisierung und der zweiten Weltkrieg dar. Durch beide gingen bisher vorhandene Strukturen oft zu großen Teilen verloren und wurden durch neue ersetzt. Und auch in der heutigen Zeit sind wieder neue Lösungen für die aktuellen Herausforderungen gefragt. Deutsche Städtebauer*innen sehen sich durch den demografischen Wandel und das anhaltende Wachstum von Metropolregionen gleichzeitg mit Expansion und Rückbau in den Städten konfrontiert. Nachhaltigkeit als Gestaltungungsfaktor und damit die Frage nach einem Strukturwandel weg vom Auto rücken zunehmend in den Vordergrund. Neue Arbeits-, Wohn- und Mobilitätsformen, zunehmende Warenströme und Digitalisierung müssen berücksichtigt werden.

Die Stadt ist ein Abbild der Zeit und Ausdruck der in ihr lebenden Gesellschaft. Es liegt also an uns, sie lebenswert zu gestalten und den Zukunfts(t)raum zur Realität zu machen.

Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt
Jeden Montag
16:40 bis 18:10
HSZ 403

Nächstes Thema: 25.04. Exkursion- Tiere in der Stadt mit Harald Wolf (Landeshauptstadt Dresden, Mitarbeiter für Artenschutz Untere Naturschutzbehörde)

Text: Theresa Zakrzewski
Bild: ddpix.de

Stadtentwicklung kritisch betrachten- Wie das geht und warum es für unsere Zukunft wichtig ist

“Was ist eure utopische Stadt?” Mit dieser Frage begann die erste Vorlesung der Umweltringvorlesung “Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt”. Die Ideen der Studierenden waren zahlreich: eine autofreie Stadt, grüne Dächer, mehr urbane Gärten, öffentliche Trinkwasserbrunnen, mehr Gemeinschaft in der Nachbarschaft und eine behindertengerechte Stadt sind nur einige der Zukunftsträume. Angelehnt daran startete Dr. Matthias Naumann von der Professur Didaktik der Geographie an der TU Dresden und Mitherausgeber des Buches “Kritische Stadtgeographie” seinen Vortrag über kritische Stadtforschung. Was ist Stadtforschung überhaupt? Wozu brauchen wir sie? Und ist Wissenschaft nicht immer kritisch?

São Paulo- eine der vielen Megacities die bereits weltweit existieren. 2020 wird es voraussichtlich 27 der Riesenstädte geben. (Quelle: joelfotos, pixabay)

Dr. Naumann zitiert hierbei Judith Butler: Bei der Kritik geht es „nicht darum, gegen diese oder jene staatliche
Forderung Einspruch zu erheben, sondern darum, nach der Ordnung zu fragen, in der eine solche Forderung lesbar und möglich wird“ (Deutsche Zeitschrift für Philosophie 50 (2), S. 249-265.). Die Kritische Stadtforschung ist also normativ. Sie will Forderungen stellen und Zustände nicht als gegeben hinnehmen, sie will alternative Konzepte von Stadt entwickeln und das Recht auf Stadt auch marginalisierter Gruppen einfordern, denn jeder Mensch hat ein Recht auf Stadt.

Die Debatte um die kritische Stadtforschung scheint endlos und die Themen sind vielfältig: Es geht um postkoloniale oder feministische Ansätze. Es geht um Wohnen und Mobilität, um Infrastruktur, Sicherheit und Gentrifizierung. Als aktuelles Beispiel geht Dr. Naumann auf Smart Cities ein. “Heute ist doch alles smart – die Smart Watch, das Smarte Haus, die Smarte Stadtverwaltung”, beginnt er. Eigentlich ist das Ziel des Stadtentwicklungsprogramms gut: Über das Werkzeug Digitalisierung sollen eine hohe Lebensqualität, eine effiziente und sichere Versorgung, sowie eine niedrigschwellige, transparente Verwaltung geschaffen werden. Aber die Smart City hat auch ihre Schattenseiten. So erfolgt eine digital gestützte Überwachung und Kontrolle der Stadt. Privatisierung und Unternehmensorientierung prägen die Entwicklung. Ethisch gesehen ist das Modell also diskutabel. Unabhängig davon gibt es auch in Dresden Bestrebungen zur Entwicklung der Ladeshauptstadt zur Smart City.

Dr. Naumanns Empfehlung: “Smart Cities. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten” von Sybille Bauriedl und Anke Strüver (Hg.) (2018, transcript)

Schließlich beendet Dr. Naumann seinen Vortrag mit einer Frage ans Auditorium: Welche positiven Beispiele einer Smart City gibt es? Eine Studentin bringt transparente Verwaltungsvorgänge (z.B. Livestreams von Stadtratssitzungen oder öffentliche Dokumente) an. Ein anderer Student verweist auf Elektromobilität im ÖPNV. Die Smart City ist also nicht per se schlecht, sollte aber auch nicht unhinterfragt in den höchsten Tönen gelobt werden.

Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt
Jeden Montag
16:40 bis 18:10
HSZ 403

Nächstes Thema: Von der Polis zur Metropolis und regionalen Agglomerationsräumen. Mit Prof. Angela Mensing-de Jong (Professur für Städtebau, TU Dresden)

Text: Luisa Zenker und Theresa Zakrzewski

Städte sind unsere Zukunft: Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt

Städte sind große, komplexe Gebilde und Lebensmittelpunkt vieler Menschen überall auf dem Planeten. Aufgrund des geselligen Wesens des Menschen, der weiter wachsenden Weltbevölkerung und der Eigenart von Städten, alle notwendigen und angenehmen Strukturen des Lebens zu bündeln, werden sie auch in Zukunft zentral für unsere Spezies sein. Damit diese riesigen Artefakte für all ihre Bewohner*innen nicht nur lebensnotwendige sondern auch lebenswerte Orte darstellen, muss sich aber noch einiges ändern. Die Umweltringvorlesung Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt. nimmt euch mit in die Beforschung des Stadtlebens, weist auf Konfliktpunkte und mögliche Lösungen hin. Organisiert und begleitet wird die Vorlesungsreihe von Luisa Zenker und Bruno Hessel. Wir haben uns die beiden geschnappt und ihnen einige Fragen gestellt.

Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt.

Welche Vorlesung der Veranstaltungsreihe interessiert euch am meisten?
Luisa und Bruno: Interessant finden wir persönlich alle Veranstaltungen. Besonders freuen wir uns aber auf die Exkursionen, welche vor allem im Sommer sehr schön sind. Dort sehen wir bereits Visionen einer besseren Stadt in der Praxis und können uns ein Bild vom tatsächlichen Dresden machen.

Gibt es nicht auch einen Trend zum Umzug auf das Land? Spielt dieser eine Rolle im Vergleich zum Städte-Trend bzw. existieren andere Gegenentwicklungen?
Luisa und Bruno: Klar, den gab und gibt es. Das nennt sich Suburbanisierung oder auch Stadtflucht. Es gibt aktuell eher den Trend, dass mehr Menschen wieder in Klein- und Mittelstädte ziehen wollen. Das zeigt, Stadt ist nicht immer gleich Megacity. Wir behandeln in der Umweltringvorlesung auch nicht nur große Städte, denn auch kleine Städte können tolle Visionen haben. Die Peripherisierung des Landes bleibt aber weiterhin in einigen Regionen bestehen und wächst weiter, wobei in anderen Regionen keine weitere Schrumpfung vorliegt. Auch hier gibt es nicht den einen Trend- auch Städte wachsen nicht immer.

Wenn das Leben in Städten unsere Zukunft bestimmt- glaubt ihr, dass alle Menschen in Städten glücklich werden können? Diese Form des Zusammenlebens bringt schließlich auch viele gesellschaftliche Probleme mit sich.
Luisa und Bruno: Sicherlich werden nicht alle Menschen in Städten glücklich werden. Die Stadt kann aufgrund ihrer Dichte und Fülle an Möglichkeiten für Manche sehr angenehm sein und viele Bedürfnisse erfüllen, für Andere ist das wiederum ungeeignet. Somit ist die gebaute Umgebung einer von vielen möglichen Faktoren für „Glück“. Das Leben in der Stadt kann unter Umständen nachhaltiger sein und Nachhaltigkeit macht- je nach Definition- schließlich mehrere Generationen „glücklicher“. Zum Beispiel haben wir kürzere Wege, die wir oft mit Rad und ÖPNV zurücklegen können und die Infrastruktur wird für viele und nicht nur eine Handvoll Menschen gebaut. Durch effizientes Bauen können Energie und Wohnraum eingespart werden. Es treffen viele Menschen und Generationen, Kulturen und Lebensstile aufeinander, was Vorurteile abbaut. Unter diesen Bedingungen kann das Leben in der Stadt das Leben in der Zukunft sein. Doch woran denken wir überhaupt, wenn die Worte Stadt und Land fallen? Bei Stadt denken Viele zunächst an Autos, Dreck, Grau, Lärm, Künstlich oder Schmutz. Bei Land denken Viele an eine idyllische Romantik mit weiten grünen Landschaften, Naturverbundenheit, Ruhe und Nähe. Aber stimmen diese Bilder? Vereinsamen nicht mehr Menschen auf dem Land, werden dort nicht viele Vorurteile gestärkt und sind die Landschaften wirklich grün oder doch eher voller Rapsfelder? Selbst Wildbienen finden in der Stadt leichter schöne, blumige Ecken als auf dem Land. Wir sollten diese Bilder vom Land in die Stadt holen- Stadtlandwirtschaften errichten, Ruhe in den Verkehr bringen, die Nähe zu den Nachbar*innen neu aufbauen. Die Stadt bietet so viele Potenziale, die wir nutzen können um die Lage zum Guten zu ändern. Natürlich kann nicht verlangt werden, dass jeder Mensch in der Stadt glücklich wird, aber die Stadt kann um einiges schöner sein, als es momentan den Anschein hat.

Hat die Vorlesungsreihe eine bestimmte Zielgruppe? Für wen lohnt sich der Besuch besonders?
Luisa und Bruno: Da wir an einer Technischen Universität sind spricht das Thema Stadt möglicherweise zunächst Studierende in planerischen Disziplinen wie Städtebau, Architektur, Verkehr und ähnliche an. Da in der Stadt aber so vieles zusammenkommt und zusammenspielt, ist die Veranstaltungsreihe sicherlich für Studierende jeglicher Fachrichtungen interessant. Außerdem können besonders auch Menschen, die aktuell nicht studieren, gern bei uns vorbeischauen.

Gibt es Begleitmaterial?
Luisa und Bruno: Das gibt es. Wir stellen die Vorlesungspräsentationen bereit und nehmen die Vorträge als Podcast zum Nachhören auf. Beides ist dann auf OPAL abrufbar. Außerdem wird es analoges Begleitmaterial in Form eines Heftes geben. Das wird bei der ersten Vorlesungsveranstaltung ausgegeben.

In der Beschreibung der Umweltringvorlsung fragt ihr danach, von welchen Visionen die Leute heute in einer Stadt von morgen träumen. Von welcher Vision für Dresden träumt ihr?
Luisa und Bruno: In unserer persönlichen Utopie von Dresden ist vieles anders: Es ist eine Stadt mit vielen Fahrradfahrer*innen und Nutzer*innen des ÖPNV und mit keinem bis sehr geringem motorisierten Individualverkehr. Es gibt viele Hausprojekte, in welchen die Menschen nicht von großen Immobilienbetrieben abhängig sind. Außerdem gibt es sehr viel mehr Stadtgrün. Parks und solidarische Landwirtschaften. Klimaneutral ist sie natürlich auch und noch so vieles mehr, was alles in der URV diskutiert werden kann und soll.

Warum sollten die Studierenden gerade zu eurer Vorlesung kommen, wo es doch so viele verschiedene gibt, die besucht werden können?
Luisa und Bruno: Die Studierenden können zu unserer Vorlesung kommen, wenn die Themen für sie spannend sind. Es ist immer besonders toll, wenn Menschen zu uns kommen, die sich tatsächlich für den Vortrag interessieren und im Anschluss noch viel zu diskutieren und hinterfragen haben. Daher ist es gar nicht so wichtig, einen vollen Hörsaal vor uns zu haben, sondern vielmehr, dass alle etwas für sich mitnehmen können, neue Blickwinkel auf Zusammenhänge entdecken oder inspiriert werden. Die Vorlesung bietet einen breiten Ansatz und es wird kein Vorwissen benötigt. Es wird praktisch, es wird diskutiert, es ist progressiv und vor allem von Studierenden.

HARD FACTS:

Über Leben im Zukunfts(t)raum Stadt.

    • Start: 08.04.2019
    • Zeit: Montag, 6. DS 16:40-18:10 Uhr
    • Ort: HSZ 403
    • Ansprechmenschen: Luisa Zenker, Bruno Hessel

Interview und Beitrag: Theresa Zakrzewski
Foto: Moritz Schlieb

Stellungnahme zu beabsichtigten Änderungen an der Planung des Zelleschen Weges

Das Referat Mobilität und die TU Umweltinitiative (tuuwi), beide Teil des StuRa, der zentralen Studierendenvertretung an der TU Dresden, kritisieren den von CDU- und FDP-Stadtratsfraktion gestellten Antrag vom 01.02.2019 zu Planungsänderungen für den Zelleschen Weg scharf. Nach ausführlicher Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass dem Autoverkehr mit dem Antrag mehr Raum zugestanden werden soll als notwendig, während der hochfrequentierte Radweg nicht einmal in Regelbreite gebaut werden soll. Dass dabei Grün- und Freiflächen des Campus geopfert werden, ohne reale Vorteile für den motorisierten Individualverkehr zu schaffen, zeugt von reiner Symbolpolitik.

Hintergrund

2016 wurde vom Stadtrat der grundsätzliche Straßenquerschnitt [1] des Teilabschnitts Zellescher Weg im Rahmen des Projektes Stadtbahn 2020 beschlossen. Dieser sieht einen besonderen Bahnkörper in Mittellage für die Straßenbahn, je Richtung einen überbreiten Fahrstreifen (5,50 m) für den Motorisierten Individualverkehr (MIV), einen Zweirichtungsradweg (2,50 m) südlich, einen Einrichtungsradfahrstreifen (1,75 m) nördlich, sowie beidseitig Gehwege (3,50 m) vor.

Der von CDU und FDP eingebrachte Antrag [2] vom 01.02.2019 hat folgende Änderungen zum Ziel: Statt eines überbreiten Fahrstreifens je Richtung erhält der MIV zwei Fahrstreifen und damit 6,5 m je Richtung (jeweils + 1 m im Vergleich zur vorangegangenen Planung). Die Breite des Zweirichtungsradweg auf der Südseite beträgt nur 2 m (- 0,5 m) und die des Einrichtungsradfahrstreifes nördlich nur 1,60 m (- 0,15 m).

Bemerkungen 

Nicht beachtet wird in dem neuen Antrag, dass der Autoverkehr mit den überbreiten Fahrstreifen der Planung von 2016 laut einer Verkehrssimulation problemlos abgewickelt werden kann. Denn zum Einen können sich zwei PKW während der Fahrt weiterhin überholen, zum Anderen sind hauptsächlich die angrenzenden Kreuzungen für die Leistungsfähigkeit limitierend und nicht die Fahrstreifen dazwischen.

Während der MIV somit mehr Platz bekäme als notwendig, müsste sich der Radverkehr statt mit den Regelwerten von 2,50 m (Zweirichtungsradweg) und 2 m (Einrichtungsradfahrstreifen) hingegen mit den Minimalwerten für geringes Radverkehrsaufkommen [3] begnügen. Das ist nicht zu akzeptieren, da der Zellesche Weg eine der Hauptverkehrsachsen für den Radverkehr darstellt.

Im Beschluss von 2016 sind beim Radverkehr bereits Abstriche vorgenommen worden. Auf der Nordseite (Mensa Siedepunkt) wurde statt eines vollwertigen Radweges nur ein Radfahrstreifen auf der Fahrbahn mit einer Breite unter dem Regelwert beschlossen. Diesen Kompromiss nun zu kippen und damit den Radverkehr ein weiteres Mal einzuschränken, um lediglich eine gefühlte Kapazitätssteigerung für den MIV zu erreichen, ist schlicht nicht nachvollziehbar.

Eine Straße ist kein Selbstzweck und sollte nur so breit wie nötig gebaut werden, da diese Flächen versiegelt, die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum reduziert und eine trennende Barriere durch den Campus zieht. Die Barrierewirkung lässt sich bei Verkehrswegen nicht vermeiden, sollte aber durch möglichst viele Querungshilfen gemindert werden. Dazu braucht es eine schmalere Straßengestaltung als im Statu Quo, um überhöhte Geschwindigkeiten weniger zu begünstigen.

Drastische Auswirkungen hätte die Neuplanung auch auf den Vorplatz der SLUB, welcher aktuell durch einen Wall abgetrennt ist. Dieser müsste mitsamt Baumbepflanzung voraussichtlich zum großen Teil weichen und könnte wahrscheinlich nur in kleinerem Umfang neugestaltet werden [4]

Fazit

Wir appelieren aufgrund der aufgeführten Punkte an den Stadtrat, sich gegen den Antrag vom 01.02.2019 auszusprechen. In einer lebenswerten Stadt und auf unserem Campus benötigen wir hochqualitative öffentliche Räume, wo sich Menschen gerne aufhalten, kommunizieren und neue Ideen entwickeln können. Das Konzept der autogerechten Stadt [5] der 60er und 70er Jahre ist längst nicht mehr zeitgemäß, da immer breitere Verkehrsachsen für PKW und LKW zu einem nicht zu bewältigenden Verkehr führen und Städte dadurch ihren Charakter verlieren. So ist auch der aktuell vierspurige Zustand des Zelleschen Weges in den Konzepten dieser Zeit zu verorten, der einst ein wichtiges Element zur Südumfahrung der Stadt gewesen ist. Diese Funktion wird heute hingegen von der A17 übernommen.

Stand der Wissenschaft ist, in verdichteten Stadträumen vor allem dem Fuß -, Rad- und Öffentlichem Verkehr Raum zu geben, um die Lebensqualität in der Stadt insgesamt zu erhöhen. Dadurch wird 2 es möglich, Lehr – und Forschungsgebäude, Einzelhandel und Wohngebäude direkt miteinander zu verbinden sowie Verkehrsprobleme, schädliche Abgase und Lärm zu reduzieren.

In vielen Vorreiterstädten wie Kopenhagen und Amsterdam funktionieren entsprechende Konzepte bereits ausgezeichnet. Insbesondere an der Hauptverkehrsachse unserer Universität, an welcher wir für die Zukunft lernen, lehren und forschen, ist es wichtig, sich an zeitgemäßen Mobilitätskonzepten zu orientieren. Der StuRa TU Dresden hat sich mit den Leitlinien Mobilität schon vor einer Weile für nachhaltige und zeitgemäße Mobilitätskonzepte ausgesprochen. Trotz teils schlechter Bedingungen nutzen Studierende der TU bereits jetzt für rund 90% ihrer Wege den sogenannten Umweltverbund aus Öffentlichem-, Rad-, und Fußverkehr. Ein Anteil, der sich durch ein gutes Angebot weiter steigern lässt.

Studierendenrat der TUD, Referat Mobilität und die TU-Umweltinitiative (tuuwi)

Variantenuntersuchung von 2016 zu finden unter: http://ratsinfo.dresden.de/vo0050.php?__kvonr=10309
[1] – Variante Z2a optimiert mit Änderungen: 2m Radfahrstreifen (inkl. 0,25m Sicherheitszuschlag) nördlich & 2,50m Radweg (zzgl. Sicherheitszuschlag) südlich
[3] – gemäß RASt 06
[4] – gemäß Anlage 6.2 – Variantenabwägung Z_öffentlich